Die Händlerin von Babylon
Bewunderung. Ningal ignorierte sie, nicht so, dass es unhöflich gewirkt hätte, doch weil er sich nicht für Frauen interessierte, einmal abgesehen von den Prie-sterinnen ... und Chloe. Kalam lächelte die Frau an, doch in Gedanken war er woanders. Chloe? Hielt sich der Richter die Khamitin etwa als Konkubine?
»Dieses wunderbare Wesen ist eine meiner Kundinnen«, sagte Guli. »Geht es dir gut, Richter?«
»Die Götter sind mir wohl gesonnen, Guli.«
»Das freut mich zu hören, Richter. Nun, meine Herren, möchte ich mich entschuldigen. Noch ein kurzes Bier, bevor ich heute bei den Einschreibern mein Siegel abhole.«
Sie wünschten ihm ein gutes neues Jahr, und er spazierte davon. Kalam vermochte seinem Arbeitgeber nicht in die Augen zu sehen. War es möglich, dass er einer Khamitin beiwohnte?
»Es ist ein gutes Omen, wenn ein Mann seine Möglichkeiten nutzt«, meinte der Richter. »Ein eigener Laden und eine Freundin dazu. Ich glaube, sie wohnt in meiner Straße.«
Entsetzt schaute Kalam den Richter an. »Ich dachte, du, äh, würdest nur Priesterinnen beiwohnen.«
Amüsiert sah ihn der Richter über den tönernen Weinkelch hinweg an. »Ich weiß, wo das Weib wohnt, weil ich die Verkaufsurkunde für ihr Haus gesehen habe.« Gelassen erwiderte er Kalams Blick. »Bereitet dir irgendwas Kopfzerbrechen, junger Mann?«
»Findest du Chloe hübsch?«
»Nein.«
Kalam seufzte beinahe hörbar.
»Nein, nicht hübsch. Ich finde, sie ist die anziehendste Frau, die ich je kennen gelernt habe. Sie hat Ausstrahlung, sie ist ruhig, tiefgründig, und im Mondschein . kann sich nicht einmal Inana in all ihrer Pracht mit ihr messen.«
Kalam war bis ins Mark erschüttert. In dem Bemühen, sich besonders lässig zu geben, piekte er sich versehentlich den Trinkhalm ins Nasenloch. Er zuckte zurück, schnitt sich dabei Lippe und Nase an dem scharfkantigen Halm auf und rumpelte schließlich gegen den Krug, der um ein Haar umgekippt wäre.
Nachdem das Bierweib den Krug wieder ins Lot gebracht, Kalam einen Balsam für Nase und Lippen sowie ein Flachstuch zum Blutabdecken gebracht und zu guter Letzt einen neuen Trinkhalm geschnitten hatte, dessen eines Ende sie zu einer weniger tödlichen Spitze abgestumpft hatte, stellte sich Kalam dem versonnenen Blick des Richters.
Kalam kannte Ningal seit seiner Kindheit; niemand wurde mehr als der Richter für seine Eloquenz, seine Gerechtigkeit und seine Menschlichkeit bewundert; Ningal hatte das verantwortungsvolle Amt des Lugals abgelehnt, hatte sich sogar geweigert, Ensi zu werden, nur damit er weiterhin völlig unparteiisch Recht sprechen konnte. Seine Kinder waren angesehene Bürger des nahen Lagash, wo sein Sohn als Lugal diente. Seine Enkel waren wohlhabende Schiffsbauer in Eridu an den Gestaden des Südmeeres. Überall im Land der Schwarzhaarigen gingen seine Urenkel in die Lehre oder in Häuser der Tafel. Ningal war in jeder Hinsicht über jeden Tadel erhaben.
Und seine Konkubine war eine Schafe hütende Bewohnerin der Marschen?
»Ich muss in meine Amtsstube«, riss Ningal ihn aus seinen Gedanken. »Ich muss noch ein paar Tafeln lesen.«
»Soll ich mitkommen, Herr?« Offiziell hatte Kalam heute noch frei, bevor die Arbeit im neuen Jahr wieder begann.
»Mach dir einen schönen Tag«, lehnte Ningal ab. »Ich sehe dich dann morgen bei Tagesanbruch.«
»Danke«, sagte Kalam und erhob sich, weil der Ältere ebenfalls aufstand, um die Bierfrau zu bezahlen.
»Eines noch.« Ningal legte eine schwere Hand auf Kalams Schulter. »Womöglich hast du Chloe mit deiner ersten Stunde extra viel zugemutet. Trotzdem wird sie weiter darauf drängen, dass sie zur Schule gehen darf. Sie wird sich alles aneignen, was du ihr beibringst, und umso besser sein, wenn sie sich schließlich durchgesetzt hat.« Er tätschelte seinem Gehilfen in einer freundschaftlichen Geste die Schulter. »Das solltest du im Kopf behalten, wenn du deinem alten Tafelvater oder Asa dem Sterndeuter oder dem Lugal oder wer auch immer dich darauf angesetzt hat, sie mit deinem Unterricht einzuschüchtern, erklären musst, warum euer Plan nicht aufgegangen ist. Sie wird alle zum Narren machen.«
Kalams Antlitz glühte. »Ich, ich verstehe, Herr.«
»Du verstehst nichts als Dung, aber du bist noch jung. Du kannst das nicht verstehen.« Fast lachend wandte Ningal sich ab und verließ die Taverne. Kalam ließ sich langsam zurücksinken und starrte auf seinen Trinkhalm. Chloes Votivbild, das er ihr erst am Nachmittag gekauft
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