Die Händlerin von Babylon
sich eigentlich zu Boden werfen oder ihm zu Füßen knien sollte. Sie senkte den Kopf.
»Auf die Knie, Weib«, fuhr ein Junge, der Diener des En, sie an. Chloe kniete mit geschlossenen Augen nieder, um den Anblick der perfekten Beine des En auszublenden, seiner gebräunten Haut, seiner wohlgeformten Waden - mit aller Kraft kniff sie die Augen zusammen, um das Bild zu verbannen.
»Lass mich dein Gesicht sehen, Schöne«, sagte Kidu. »Ein Geschöpf wie du versäumt die heutigen Feiern?«
Sie nickte stumm.
»Heb deinen Kopf, Herrin«, befahl der Junge. »Der En Kidu will es so.«
»Der En sollte sich um die Felder und die Himmel kümmern, er sollte der Ensi Vergnügen bereiten, statt seine Lüste auf den Feldern zu stillen«, stammelte Chloe hervor. Stand es ihm in dieser Epoche frei, sie nach Lust und Laune zu vergewaltigen?
Mach dir nichts vor, tadelte sie sich. Es brauchte nur einen einzigen Kuss, und schon wäre sie ihm absolut zu Willen. Er erinnerte sie an Cheftu, an ihre erste Begegnung, als er ein kühler, goldener ägyptischer Adliger gewesen war, der einen Minderwertigkeitskomplex von den Ausmaßen der Wüste Sahara mit sich herumgeschleppt hatte. Sein Gang, die Kopfhaltung, die Sprache.
War es möglich? Konnte sie es wagen ...?
»Ich glaube, diese Schafe müssen die glücklichsten Einwohner von Ur sein«, kam ihr der En zuvor. »Sie dürfen sich mit dir in diesem kühlen Hain vergnügen.«
Der Mann verstand zu reden, so viel stand fest. Chloe starrte wie gebannt auf Kidus Beine; sie waren wie in Gold modelliert, perfekt proportioniert und durchtrainiert. Beim Aufschauen glitt ihr Blick über seinen flachen, muskulösen Bauch, die breite Brust, an den mit Goldperlen besetzten Bartspitzen vorbei bis in sein Gesicht.
Bernsteingelbe Augen.
»Wünscht sich Kidu ebenfalls zu vergnügen?«, fragte sie ihn. Mit Todesmut. Und in der Hoffnung, nicht dem Falschen einen unsittlichen Antrag zu machen.
Er zog die Stirn in Falten, und sie begriff - hoffte -, dass er durch ihre verschiedenfarbigen Augen, die dunkle Haut, das beinahe afrikanische Haar hindurchzusehen versuchte.
»Nur, wenn dein Name ... Chloe ist«, sagte er.
Der Junge verfolgte ihren Wortwechsel mit angehaltenem Atem.
Cheftu. Cheftu? fasste ihre Hand und zog sie hoch. Im Stehen war sie eindeutig kleiner als er. Das war noch nie vorgekommen. Konnte sie sicher sein, dass dies Cheftu war?
»Chérie«, flüsterte er und drückte dabei ihre Hand.
»O Gott.«
Er küsste sie.
Alles begann sich um Chloe zu drehen - Cheftu war bei ihr. Er war der goldene Hohepriester. War er schon von Anfang an hier gewesen, war er .?
Er presste seinen Mund an ihr Ohr; sein Raunen verursachte ihr eine Gänsehaut auf der Schulter. »Überall sind Spione. Sogar in meinem Schlafgemach.«
An einem Plauderstündchen war Chloe, sollte sie in sein
Schlafgemach gelangen, weniger gelegen.
»Die Ensi hat mir untersagt, dasselbe Mädchen mehr als ein einziges Mal zur Geliebten zu nehmen.«
Wie viele Geliebte hatte er sich bereits genommen?
»Wir müssen höllisch aufpassen, Chérie. Wir sind beide in Gefahr. Puabi hätte keine Hemmungen, mich zu verstoßen -seit ich hier angekommen bin, war ich ihr kein einziges Mal mehr zu Gefallen. Und sie wird deinen Namen erkennen, weil ich ihn mehrmals erwähnt habe. Sie schöpft schon jetzt Verdacht.«
Was erzählte er da?
»Heute Abend werde ich aus dem Tempel schleichen und dich finden.« Er löste seine Umarmung. »Eine angenehme Feier«, wünschte er ihr, wobei er zurücktrat und sich in den En zurückverwandelte.
Chloe fiel wieder auf die Knie, vor allem, weil ihre Beine sowieso nachgaben. Der Knabe und der En - Cheftu war blond geworden? - kletterten auf einen kleinen Karren und rumpelten aus dem Hain davon. Chloe schaute ihnen nach. Das war schon alles? Das war die große Wiedervereinigung gewesen? Sie blinzelte ihre Tränen weg.
Im Schatten einiger Palmen hockend, starrte sie auf den blaubraunen Horizont.
Das Gute war, dass Cheftu hier war und dass sie einander gefunden hatten.
Das Schlechte war, dass dies nicht allzu viel brachte: Er war der Hohepriester der Fruchtbarkeit.
»Scheiße!«, brach es aus Chloe heraus. Was war aus ihrem Leben geworden? Schließlich wurde ihr die absolute Stille unter den Bäumen bewusst. »Meine Schafe!«, entfuhr es ihr, und sie wirbelte herum. Alle Tiere waren verschwunden. »Na gut!«, rief sie ihnen nach. »Ich war sowieso eine miserable Hirtin!«
Sie ließ sich gegen eine Palme
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