Die haessliche Herzogin
Nacht, und doch brauchten sie siebenundzwanzig Tage die Etschufer hinab.
Das erschreckte Volk schleppte in Prozessionen die Heiligenbilder, betete, streckte die Hände zum Himmel. Der Pfarrer von Kaltern ließ das Geziefer durch ein förmliches Rechtserkenntnis von Geschworenen verurteilen, bannte es von der Kanzel herab. Es waren riesige Tiere, sie hatten Zähne wie leuchtende, edle Steine, so daß die Frauen ihre Gewänder damit besetzten. Die Schwärme, die die Inngegenden verheerten, waren zwiefach merkwürdig. Die Führer flogen mit wenigen anderen dem Heer um eine Tagesreise voraus, suchten die Orte, die der Masse des Schwarmes geeignet waren. In Geschwadern brachen sie wieder auf, mit militärischer Disziplin. Sie fraßen Busch und Baum, sie fraßen alles Grün, sie fraßen den Halm, das Korn, die Hirse, Stumpf und Stiel. Die Erde war schwarz und grau und wie ausgedorrt, wenn sie endlich fortzogen.
*
Die Herzogin Margarete fuhr über den Arlberg. In Sankt Anton stand unter dem gaffenden Volk ein Mädchen von elf, zwölf Jahren mit seiner Mutter. Wie der Zug vorbeikam, rief eifrig, wichtig das Kind: »Mutter! Mutter! Welche ist die gnädige Frau Herzogin? Die Lange, Dürre oder die andere, die Maultasch?«
Die Mutter, eine derbe, wackere, behagliche, junge Frau, grinste, wurde rot, schlug nach dem Kind: »Wirst du den Brotladen halten, Saufratz !«
Die Leute ringsum lachten, das Kind plärrte, das Wort wurde aufgenommen. Es flog durch das Land, flog weiter, bald nannte alle Christenheit die häßliche Herzogin nur mehr die Maultasche. Margarete hörte davon, trug den Beinamen mit einer gewissen stillen, bitteren Absichtlichkeit. Wie sollte ihr neues Schloß heißen? Bruneck? Neugrafenburg? Sie nannte es Schloß Maultasch.
Markgraf Ludwig saß zusammen mit seinem Freund, dem Herzog Konrad von Teck, über Rechnungen und Belegen. Der junge, straffe Markgraf stellte nüchtern, klar Ziffern und Tatsachen zusammen; der massige, soldatische, etwas ältere Herzog von Teck hörte aufmerksam zu. Er war in Rüstung, unbeweglich, während der Markgraf bei aller Sachlichkeit sich nicht enthalten konnte, auf den Tisch zu schlagen, auf die raschelnden Papiere.
Sein festes, mageres Gesicht, harte, glanzlose, blaue Augen, bräunliche, verwitterte Haut, etwas spärliches, blondes Haar, gegen die Mode kurzer, blonder Schnurrbart, war böse und sehr erregt. Er hatte die Tiroler Barone immer für tückische, betrügerische Raffer gehalten. Doch daß sie auch unter seinem Regiment so frechen, offenkundigen Unterschleif wagen würden, daß sie bieder und traulich nicht etwa die Hälfte, sondern neun Zehntel seiner Einkünfte in ihre Tasche steckten und sich in ihren Schlußrechnungen kaum bemühten, das zu verschleiern, das war denn doch ein Gipfel frecher Habsucht, den er nicht erwartet.
Der junge Fürst liebte sachliches, rasches, sauberes Arbeiten. So hatte er sich in Brandenburg bewährt; es war dem Land gut bekommen. Hier in Tirol fand er überall Schlamperei, die ganze Verwaltung war ein Ungefähr, alle Grenzen und Befugnisse verwischt, Betrug und Unterschleif üppig in Schuß und Wucher.
Dabei hatten die Barone gut vorgesorgt. Amnestie für ihre Verwaltungssünden war ihnen zugesichert, auch konnten sie fürderhin nur durch Einheimische kontrolliert werden, und da sie alle versippt waren, blieb solche Kontrolle Formsache.
Der massige, bartlose, soldatische Konrad von Teck ließ den Markgrafen zu Ende reden. Dann sagte er: »Durchgreifen! Verträge, Amnestie: einen Schmarren!
Pack einen von ihnen am Kopf. Laß die andern reklamieren, protestieren! Wenn sie sehen, es nützt nichts, werden sie rasch kirre .«
Mit einem halben Lächeln schob der Markgraf dem Freund ein Schriftstück hin: einen Haftbefehl für Volkmar von Burgstall. Aber er war nicht unterzeichnet. »Mein Vater täte es bestimmt nicht«, sagte er. »Es kann verteufelt schiefgehen. Ich hab keine Rückendeckung .«
Konrad von Teck schaute ihn aus seinen stumpfen, braunen Augen an, sagte knarrend: »Schaff dir Rückendeckung .«
Ludwig gab den Blick zurück, schellte, befahl: »Die Frau Herzogin .«
Bis Margarete kam, schwiegen die beiden Männer.
Ludwig hatte keine Heimlichkeit vor dem Freund; so wußte der genau, wie es zwischen ihm und Margarete stand. Es stand aber so, daß aus Mißtrauen und Abneigung langsam eine kühle, geschäftsmäßige, wohlwollende Kameradschaftlichkeit gewachsen war. Margarete war ruhig, klug, nicht zudringlich, gab und
Weitere Kostenlose Bücher