Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
ist er nicht mehr traurig.»
Robert nimmt uns die Mäntel ab und hängt sie auf Bügel an die Garderobe. Katja hat die Stoppersocken für die Kinder dabei, die sich auf dem Fußboden niederlassen, um sie anzuziehen.
«Duhuuu, habt ihr auch einen Weihnachtsbaum und Gessenke?», fragt Jan aufgeregt.
«Logisch!», nickt Robert. «Einen ganz, ganz großen. Die Spitze reicht bis an die Zimmerdecke. Gleich wirst du ihn sehen. Da hängen ganz viele schöne Sachen dran und auch Überraschungen für Kinder.»
Jesses, Maria und Josef! Zimmerhohe Tanne mit Kinderüberraschungen. Und das ausgerechnet bei
Schnösel
Robert. Hoffentlich verkraftet meine arme Katja so viel Ungerechtigkeit.
«Habe ich richtig gehört?» Friedrich tritt aus der Wohnzimmertür am Ende des Flurs. «Ursel mit Familie! Das nenne ich eine freudige Überraschung.» Er kommt mir mit offenen Armen entgegen. «Welch Glanz in unserer bescheidenen Hütte!»
Ich erröte geschmeichelt und freue mich, dass ich noch schnell in mein kleines Schwarzes geschlüpft bin und in diesem Outfit nicht hinter Friedrichs feinem, dunklen Anzug zurückstehen muss.
Die Jungs springen auf und verlangen die Zeichnungen von Katja.
«Wir haben was für dich gemaaalt!», verkündet Eric.
Jan faltet sein Blatt auf. «Ssau mal, das ist dein Churchill … Der sspringt im Ssnee!»
«Vielen Dank.» Gerührt nimmt Friedrich die Blätter entgegen und betrachtet lächelnd die bunten Kunstwerke. «Toll! Das hast du gut hingekriegt, Jan, und du auch, Eric.»
«Dann musst du jetzt nicht mehr weinen, Onkel Friedrich», sagt Eric. «Weil deinem Hund jetzt nix Schlimmes mehr passieren kann.»
Friedrich stutzt einen Augenblick, dann lächelt er. «Nein, dem geht’s bestimmt prächtig. Eure tollen Bilder werde ich einrahmen und an einen Ehrenplatz stellen, wo ich sie jederzeit ansehen kann …» Er rollt die Zeichnungen vorsichtig zusammen, reicht mir die Hand und drückt sie sanft. «Frohes Fest, liebe Ursel.» Er blinzelt mir fast unmerklich zu.
«Das wünsche ich dir und deinen Lieben ebenfalls, Friedrich.» Ich erwidere den Druck und lächle ihn an, als ich den weihnachtlichen Strauß aus seidigen Föhrenzweigen, Deko-Apfel, getrockneten Orangenscheiben, Tannenzapfen und Blaue-Beeren-Zweigen übereiche. «Eine kleine Aufmunterung.»
«Ursel, was für ein wunderschöner Strauß. Herzlichen Dank. Aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen», entgegnet er verlegen.
«Doch, doch», mischt Katja sich ein und überreicht ihm den Wein. «Als Entschuldigung für … Nun ja … Die Kinder sind vielleicht etwas zu wild mit dem …»
«Machen Sie sich bitte keine Gedanken», unterbricht Friedrich ihr Gestammel. «Es war ohnehin nur eine Frage von Tagen oder …» Er schüttelt Katja die Hand. «Herzlichen Dank … auch Ihnen und Ihrer Familie gesegnete Weihnachten.»
Nun unterbricht Robert seinen Vater und bittet uns, ihm zu folgen. «Die Feier findet schließlich nicht im Flur statt.»
Friedrich entschuldigt sich für einen Moment, um den Strauß zu versorgen. Wir folgen Robert.
Katjas Lächeln verschwindet. Sie wirft mir einen genervten Blick zu, den ich einfach ignoriere. Stattdessen schiebe ich sie unauffällig vor mir her. Eine halbe Stunde wird sie sich ja wohl benehmen können, sonst war meine Erziehung komplett für die Katz.
Die Jungs sind ins Wohnzimmer vorangesaust, bleiben aber nach ein paar Schritten stehen und blicken sich neugierig in der fremden Umgebung um.
«Uiii», staunt Jan den unübersehbar prächtig geschmückten Christbaum an. «Voll der ssöne Baum!»
Eric legt den Kopf in den Nacken und bewundert ihn schweigend mit offenem Mund. Auch wir stoppen an der Türschwelle und blicken in ein üppig dekoriertes Wohnzimmer, aus dem leise Klänge von
Jingle Bells
zu uns dringen. Doch Katja und ich hören kaum hin, denn wir sind nicht weniger fasziniert als die Kinder. Mit großen Augen starren wir auf einen unfassbar prächtigen Christbaum. In meiner Wohnung steht die hässlichste Tanne der Welt – hier die schönste. Jedenfalls ist es mit Abstand die schönste, die ich jemals gesehen habe. Sie muss knapp drei Meter hoch sein, damit sie in diese herrschaftlichen Altbauwohnungen hineinpasst. Und sie ist dermaßen verschwenderisch geschmückt, als habe Robert den gesamten Baumschmuck der Stadt aufgekauft, um damit einen Märchenbaum gestalten zu können. Dicht an dicht drängeln sich klassisch runde Kugeln neben bärtigen Nikoläusen, lila Fröschen, rosa
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