Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
Fußboden ziert. Gegen diesen … diesen Möchtegern-Christbaum waren die vorherigen Bäume die reinsten Prachtgewächse. Trotzdem betrachte ich das vollendete Werk natürlich mit gebührender Ehrfurcht.
«Das habt ihr wirklich schön gemacht, ihr Lausejungs», lobe ich und geniere mich weder für meine unverschämte Lüge noch für die Tränen in den Augen – die allerdings vom Meerrettichreiben herrühren.
«Kommt jetzt Bescherung?», fragt Eric erneut mit begehrlichem Glitzern in den Augen, als er und sein Bruder mit Bernd den nicht verwendeten Baumschmuck zurück in die Kartons räumen.
«Bestimmt», verspreche ich vollmundig und blicke Katja fragend an.
«Ach du Schei…benkleister», entfährt es ihr, und sie wird ganz blass.
Ich ahne Schreckliches. «Was ist?», flüstere ich ihr zu.
«In der Aufregung haben wir die Geschenke vergessen», zischelt sie mir ins Ohr.
Von wegen,
ich
würde nicht an die Kinder denken und ihnen die Freude verderben wollen! Obwohl man bei
der hässlichsten Tanne der Welt
eher von Strafe als von Freude sprechen müsste. Denn auch in voller Weihnachtspracht, und egal wie viele Päckchen darunterlägen, würde die jämmerliche Krücke doch immer krumm und schief aussehen. Einfach scheußlich. Im Grunde nur noch zum Verheizen geeignet. Schade, dass ich keinen Kamin besitze. Apropos Kamin, da fällt mir Friedrich ein. Wir wollten ihm doch den Blumenstrauß und eine Flasche Wein vorbeibringen.
Katja schubst mich an. «Mama, was machen wir denn jetzt?»
«Wir besuchen Friedrich und bringen ihm die Blumen und den Wein», flüstere ich ihr zu. «Wo sind die Zeichnungen der Jungs?»
«Ich glaube, in meiner Handtasche …» Sie überlegt eine Sekunde. «Ja, ich bin sicher.»
«Gut … In der Zwischenzeit kann Bernd die Geschenke holen und dann die Bescherung vorbereiten.» Laut verkünde ich dann: «Alle Mann Schuhe anziehen.»
«Waruuuhum?», wollen die Jungs wissen.
«Damit der Weihnachtsmann und die Weihnachtselfen die Geschenke bringen können», antworte ich. «Denn solange Menschen in der Wohnung sind, kommen die nicht.»
Eric verschränkt die Arme und rührt sich nicht von der Stelle. «Ich bleib hier. Ich will zuschauen.»
«Ich will auch zussauen», schließt Jan sich mit frechem Grinsen an. «Wir versstecken uns unterm Sofa.»
Eric ist sofort dabei. «Au ja! Dann können wir den Weihnachtsmann endlich mal sehen.»
«Kommt nicht in Frage», spricht Katja ein Machtwort. «Wir verlassen Omas Wohnung und besuchen Friedrich Hirsch. Ihr wolltet ihm doch die Zeichnungen schenken.»
Eric guckt mich neugierig an. «Der Mann mit dem toten Hund?»
«Ja, der Hund ist gesstorben, weil er mit uns gespielt hat!», klärt Jan seinen Bruder auf.
Eric starrt einen Moment ins Leere und fängt dann an zu weinen. Katja nimmt ihn in den Arm. «Es ist nicht eure Schuld. Der kleine Churchill ist jetzt im Hundehimmel und feiert dort mit allen verstorbenen Hunden große Hunde-Weihnachten.»
«Und da kriegen die Hunde auch Christbäume mit Weißwursst und Kauknochen und Quietschesspielzeug», weiß Jan.
Schniefend wischt Eric sich die Tränen aus dem Gesicht. «Bratwürstel auch?»
Ich nicke. «Na klar, und noch Wurstketten um die Hälse.»
Die Vorstellung zaubert ein Strahlen auf sein kleines Gesicht, und er ist bereit, sich anzuziehen.
18 . 00 Uhr Dick eingemummelt, mit Blumen und Wein aus meinem Vorrat (den hat Katja nämlich vergessen) treten wir auf die Straße, wo uns ein weiß glitzerndes Wintermärchen empfängt. Der seit den Nachmittagsstunden anhaltende Schneefall hat Autos, Hausdächern und Fenstersimsen dicke Hauben verpasst und die Straßen komplett bedeckt. Bernd bietet an, uns zum Holzplatz zu chauffieren, doch die herrlich frische Luft verlockt, die paar Meter zu laufen.
Gemütlich schlendern wir durch menschenleere Straßen, vorbei an hellerleuchteten Wohnungen, und bestaunen prächtig geschmückte Christbäume hinter Erdgeschossfenstern. Überall ist Bescherungszeit. Katja läuft schweigend mit gesenktem Blick neben mir her und klammert sich an der Weinflasche fest. Mein armes Kind leidet, das spüre ich überdeutlich. Wenn ich könnte, würde ich ihr die prächtigste Coloradotanne der Welt herzaubern. Schon allein, um die Krücke in meiner Wohnung wieder loszuwerden.
Das Klingeln meines Handys schreckt mich auf. Mein erster Gedanke gilt Madeleine, und ich frage mich, ob alles in Ordnung ist. Doch es ist Lissy, mit der ich Handynummern ausgetauscht
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