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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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geweckt.
    Cora stöhnte: »Bestimmt meine Eltern«, und begab sich an den Apparat. Aber es war Carlo, der Detlef zu Hause nicht erreicht hatte und sich nach seinem Verbleib erkundigte.
    »Weiß ich nicht«, sagte Cora, »er war stockbesoffen und wollte noch ins Bordell, aber frag mich bitte nicht, in welches.« Geschockt gab sich Carlo zufrieden.
    Wir huschten schnell zu den rosa Ehebetten. Unser Ferkel hatte den Eimer benutzt. Cora riß die Fenster auf. Detlef sah krank aus, und ich hatte beinahe Mitleid mit ihm. Wir schubsten ihn ein wenig, er öffnete mühsam die Augen.
    »Du mußt gehen«, sagte Cornelia streng, »willst du, daß dich meine Mutter in ihrem Bett vorfindet?«
    Detlef wollte auf die Uhr schauen, sah das rosa Zifferblatt und stöhnte.
    »Es ist Montag morgen«, log ich, »wenn du dich beeilst, kommst du um acht an deinen Bankschalter, aber deine Fahne riecht man noch durch die Glastrennscheibe.«
    Wir verließen das Zimmer und hörten ihn nach einiger Zeit furchtbar fluchen, das Klo benutzen und Hals über Kopf das Haus verlassen. Er hat nie wieder Sehnsucht verspürt, uns zu erpressen. Auch von Carlo distanzierte er sich, und mein armer Bruder hat nie erfahren, warum.
     
    Heimlich träumte ich davon, daß mich Coras Eltern in die Toskana einladen würden. Seit Jahren mieteten sie die gleiche Ferienwohnung bei Colle di Val d'Elsa, und ich wußte, daß dort vier Betten standen. In früheren Jahren war Coras Bruder immer mit von der Partie gewesen. Aber ich mochte nicht darum bitten (der Professor hatte mir schon die Fahrt nach Hamburg bezahlt), weil es mir erschien, als ob ich ständig in der Rolle einer ärmlichen Verwandten steckte.
    Obgleich mir Cora oft von diesem Ferienhaus (mit Pool natürlich) erzählt hatte, kam auch ihr nicht der Gedanke, bei ihren Eltern eine Einladung zu erwirken.
    Nun war sie fort und wurde braun, verbesserte ihr Italienisch durch Flirts mit gebräunten Vespa-Fahrern, aß Tomaten mit Basilikum und trank Chianti classico. Und ich?
    »Seid ihr am Ende lesbisch?« hatte Carlo nach jener Party bitterböse gefragt. Ich hatte ihm den gefüllten Aschenbecher aufs weiße Bankerhemd gekippt. Aber ich dachte über diese Worte nach. Wir waren nicht lesbisch, aber ich mußte zugeben, daß ich mich von meinem Geographielehrer entfremdet hatte, seit ich immer inniger mit Cora befreundet war. Es konnte doch nicht normal sein, fragte ich mich besorgt, daß ich im Augenblick in gar keinen Mann verliebt war? Cora war mein ein und alles, bei ihr fühlte ich mich wohl und gegen alle Bosheiten dieser Welt gefeit. Ohne sie war ich ein halber Mensch. War diese große Abhängigkeit gut?
     
    In den zwei Wochen, die Cora in Italien war, litt ich sehr. Ich war fleißig, räumte mein Zimmer um, putzte die Küche, um meine Mutter zu entlasten, und wühlte vormittags, wenn sie im Altersheim und Carlo in der Bank war, in alten Papieren. Ich hoffte, irgendwelche Dokumente, Briefe oder Erinnerungsgegenstände von meinem Vater zu finden. Anscheinend hatte meine Mutter alles vernichtet, was von ihm stammte. Nur ein paar Fotos im Familienalbum hatte sie anstandshalber nicht eliminiert; wahrscheinlich, weil eine Lücke erst recht neugierig machte und weil sie auch nicht gut leugnen konnte, daß wir einen Erzeuger besaßen.
    Allerdings fand ich, versteckt in einem Eichendorff-Gedichtbändchen (das seltsamerweise nicht im Bücherschrank stand, sondern bei Mutters persönlichen Papieren und Briefen lag), mehrere Fotos eines jungen Mannes, der meinem Bruder auffällig glich. Wer mochte das sein, und warum wurde er uns verheimlicht? Auf einem Bild war er Arm in Arm mit Mutter zu sehen, die damals vielleicht zwanzig war. »Elsbeth und Karl« konnte ich auf der Rückseite entziffern, die violette Tinte war verblichen. Am Ende war er Carlos Vater? Ich rätselte herum. Carlo sah weder meiner Mutter noch meinem davongelaufenen Papa ähnlich. Er hatte schwarzes Haar, sehr helle Haut und blaue Augen, war sportlich ambitioniert (sein Rennrad bedeutete ihm viel) und muskulös; eigentlich ein hübscher Junge, wenn man von den Pickeln, die ihn von Zeit zu Zeit anfallsartig überfielen, einmal absah. Der Mann auf dem Schwarzweißfoto schien ebenfalls dunkelhaarig zu sein, und ich phantasierte mir eine wilde Romanze zwischen ihm und Mutter zusammen.
    Wem sah ich ähnlich? Früher hatte ich stets gehofft, als echte Prinzessin dem König zu gleichen. Jetzt war ich davon nicht mehr überzeugt. Mein dünnes braunes Haar mochte

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