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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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wir hart miteinander feilschten. Er liebt dieses Spiel genauso wie ich. Im ganzen besuche ich drei verschiedene Antiquitätenläden in den Gäßchen um die Piazza Pitti, immer schön abwechselnd. In jedem habe ich einmal gestohlen, aber ich werde mich hüten, es ein weiteres Mal zu tun. Ich besitze einen Fächer von Marie-Antoinette aus geschnitztem und bemaltem Elfenbein, eine goldene Schnupftabakdose in Muschelform mit eingelegter Emailarbeit und ein Reisenähkästchen aus Ebenholz mit Schildpatt, das neben zierlichen Scheren und Nadeln, Flakons und einem Becher auch eine Miniaturwaffe für die bedrängte Lady enthält - ein winziges, aber messerscharfes Stilett. Dieses Nähkästchen hatte ich schon häufig bewundert, aber in meine Handtasche ließ es sich nicht zwängen; ich bat eine Züricher Touristin es in ihren schicken Lederrucksack zu stecken. Zuvor hatte ich eine Plastiktüte darübergestülpt, und sie hielt meinen »Kauf« wohl für einen einfachen Holzkasten.
     
    Cora hat übrigens kein großes Interesse an meinen Schätzen; ihr schweben andere Fischzüge vor: Riesengemälde aus Museen, ein Tintoretto wäre ihr recht. Aber hierfür fehlt uns beiden das Know-how.
    Zu meinem geheimen Sammlerkabinett gehören nicht nur Kunstgegenstände, sondern auch Erinnerungsstücke, die für mich einen persönlichen oder ästhetischen Wert haben, zum Beispiel ein verbeultes italienisches Schild. Ich erhielt es am Ende jener Ferien, als wir meinen Vater besucht und Detlef besiegt hatten.
    Cora kam mit einem blauen Florentinerhut aus Italien zurück. Sie brachte mir Geschenke mit. Eine gestohlene Blechtafel ATTENTI AL CANE , die ich an meine Zimmertür hängen sollte. Für sich selbst hatte sie DIVIETO DI CACCIA mitgehen lassen, ein Jagdverbotsschild aus toskanischen Wäldern. Außerdem erhielt ich ein Tagebuch aus handgeschöpftem Papier und das Skelett einer Fledermaus, das sie auf dem vertrockneten Rasen entdeckt hatte. Coras Malerauge sah diesen morbiden Gegenstand mit anderem Blick als ich, die ich mich ein wenig vor den filigranfeinen Rippen ekelte.
    Lustlos begannen wir unser vorletztes Schuljahr. Nicht daß wir Probleme mit dem Lernen hatten, aber das Leben bestand aus vielen Dingen, die wir für wichtiger hielten als Macbeth und die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Herr Becker, den ich nur noch für einen normalen Menschen und nicht mehr für einen begnadeten Pädagogen hielt, gab in unserer Klasse keinen Unterricht mehr. Der Name »Elefantin« war mir zwar geblieben, aber er wurde gleichgültig gebraucht und verursachte mir keine Depressionen mehr. Man hielt mich für hochmütig, und da war etwas Wahres daran. Trotz meiner Elefantenhaut fühlte ich mich als Prinzessin unter Proleten.
    »Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt«, zitierte unsere Deutschlehrerin aus Schillers >Wilhelm Tell<. »Die brave Frau denkt an sich selbst«, schrieb ich als Leitmotiv ins neue Tagebuch. Leider habe ich nicht immer danach gehandelt.
    Cora hatte ständig wechselnde Freunde, und auch Carlo buhlte weiterhin um ihre Gunst. Mal war sie reizend zu ihm, und er machte sich Hoffnungen, dann stolzierte sie händchenhaltend mit einem anderen vorbei. Männern gegenüber kannte Cora keine Treue, aber zu mir war sie stets zuverlässig und sorgend, liebevoll und herzlich, vor allem aber ehrlich.
    Sie wurde immer hübscher. Die roten Haare trug sie schulterlang zerzaust. Ihre Figur war graziler geworden, und ihre Knöchelchen mußten denen meiner Fledermaus ähneln. Cora glich ein wenig den Damen auf italienischen Renaissancegemälden, mit ihrer tief ausgezupften Stirn und dem eigenwilligen Profil. Es war nicht verwunderlich, daß sie begehrt wurde.
    Und ich? Mit siebzehn fand ich mich nicht schön, obgleich ich nachträglich sagen muß, daß kein Grund dazu bestand. Aber Glanz und Charme gingen mir ab, und das ist bis heute so geblieben.
     
    Der Tag, an dem das Unglück geschah, begann wie alle anderen, dieser schwarze Freitag im September. Dabei strahlte die Sonne noch warm, und der Tag erschien uns golden; die Aussicht auf ein Wochenende im Schwimmbad ließ Cora und mich gutgelaunt aus der Schule kommen. Coras Mutter war, wie so oft, verreist. Der Vater hatte vor Semesterbeginn noch organisatorische Probleme an der Universität zu klären. Meiner Mutter hatte ich bereits am Vortag gesagt, daß ich nach der Schule zu Cora ginge und erst abends zurückkäme. Wir machten uns ein schnelles Essen aus Cornflakes, Milch und Bananen, Cora lieh

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