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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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mir einen Bikini, und wir fuhren mit dem Bus zum überfüllten Waldschwimmbad. Cora hatte sich in Italien so viele Sommersprossen zugelegt, daß sie von weitem dunkelbraun erschien, während ich, die im Grunde viel besser bräunte, bläßlich daneben aussah.
    Natürlich lagen wir nie allein auf unseren Handtüchern; Cora war ein Lockvogel, dem die Erpel, Pfauen und Gockel auf den Leim gingen.
    Um fünf tauchte Carlo auf. Die Haare an seinen rasierten Beinen waren stoppelig nachgewachsen. Er produzierte sich mehrmals auf dem Sprungbrett und ärgerte sich wahrscheinlich, daß Cora nicht hinschaute. Als er aber mit drei Eisbechern bei unserem Lager aufkreuzte, war sie plötzlich wie umgewandelt und scherzte ausschließlich mit ihm, so daß zwei Anwärter, die ihr hingebungsvoll den Rücken geölt hatten, das Weite suchten. Ich aß Eis und ging schwimmen, wobei ich mir viel Zeit ließ. Anschließend unterhielt ich mich lange mit Greta, die auf einer entfernten Rasenecke saß und las. Wenn Cora ihre Schau abzog, fühlte ich mich in der Statistenrolle nie wohl, ganz besonders nicht, wenn das Flirten meinem Bruder galt.
    Es wurde Zeit zum Aufbruch. Cora und ich packten unsere Sachen und brachten die Abfälle zum Papierkorb. Carlo prahlte mit einer Überraschung auf dem Parkplatz. Ich ahnte gleich, daß er sich ein Auto geliehen hatte.
    Cornelia mimte Neugier. Tatsächlich stand dort ein nicht eben neuer Sportflitzer, der dem windigen Bruder eines ehemaligen Schulfreundes gehörte. Carlo öffnete uns die Tür. Ich wußte, wenn ich allein hiergewesen wäre, hätte er sie mir vor der Nase zugeschlagen und mich laufen lassen. Nun, so kamen wir schneller nach Hause als im stickigen Bus.
    Selbstverständlich saß Cora vorn. Carlo fuhr grauenhaft. Seine Erfahrung mit Autos beschränkte sich im wesentlichen auf die Fahrstunden, die er mit achtzehn Jahren genommen hatte. Aber er tat großkotzig, trug ein offenes rotes Seidenhemd und eine Spiegelbrille. Die Zigarette lässig im Mundwinkel, den Sitz weit nach hinten gestellt. Ich hätte ihm am liebsten eine über die Rübe gegeben, als er playboyhaft neben Cora saß und ihr primitive Erklärungen gab, wie man aus diesem Schlitten das Letzte herausholen könnte. Unaufgefordert ging er mit zu Cora und behauptete, er müsse sich unser Doppelporträt noch einmal ansehen.
     
    »Dies Bildnis ist bezaubernd schön«, sang er im Falsett.
    Ich konnte es schlecht ertragen, gemeinsam mit ihm und Cora das Bild meines Vaters zu begutachten, und ging in die Küche, um Mineralwasser zu trinken. Als ich nach zehn Minuten wieder eintrat, saßen sie eng nebeneinander auf Coras Bett und verstummten; eine Situation, die ich schon häufig zu Hause erlebt hatte, wenn Mutter und Carlo zusammen waren.
    »Ich muß jetzt heim«, sagte ich frostig, »kommst du, Carlo?«
    »Stapf mal schön zu Fuß, grauer Urwaldriese«, sagte er, »ich bleibe.«
    Cora sagte nichts, sah mich nicht an und nahm sich eine von Carlos Zigaretten.
    Ich knallte die Haustür zu und verschwand. Fast war ich schon zu Hause, und mein Zorn war nicht verraucht, sondern richtig aufgelodert, als mir einfiel, daß ich meine Schulsachen bei Cora liegengelassen hatte und dringend eine Goethe-Biographie für ein Referat brauchte.
    Später habe ich mich oft gefragt, ob das wirklich so dringend war, denn mein Referat war fast fertig. Warum hatte ich nicht angerufen und Carlo gebeten, mir meine Mappe mitzubringen? Aus irgendeinem Gefühl heraus habe ich wohl einen Grund gesucht zurückzukommen. Ich wollte nicht, daß mein Bruder und meine beste Freundin zusammen auf einem Bett und unter Vaters Bild saßen, der Gedanke an diese Vertraulichkeit tat weh.
    Als ich wieder vorm Hause Schwab stand, kam ich mir nun doch fehl am Platze vor. Cora würde denken, ich sei eifersüchtig und wolle ihr nachspionieren. Was mein Bruder dachte, war mir egal. Das geliehene Auto stand noch vor des Nachbars Garagenausfahrt.
    Sollte ich klingeln ? Ratlos wartete ich eine Weile vor der Tür. Dann schlüpfte ich durch die Gartenpforte, weil ich wußte, daß die hintere Verandatür häufig für den Hund offenstand; in diesem Fall konnte ich durch den Wintergarten in die Diele schleichen, wo meine Schultasche lag. Wollte ich wirklich nur die Tasche? Oder wollte ich lauschen, stören, Carlo ärgern? Vielleicht trieb mich eine böse Ahnung zurück.
    Als ich an der Verandatür ankam, hörte ich aus dem oberen Stock beängstigende Geräusche. Ein unterdrückter oder abgewürgter

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