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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Klassenkameradin, die ihm eine Abfuhr erteilt hatte, einen Schrecken einjagen. Die ausgelassene Feier nahm ein furchtbares Ende. Durch die Druckwelle des Schusses erlitt der junge Mann ein schweres Hirntrauma.. In bewußtlosem Zustand wurde er in die Neurologische Universitätsklinik eingeliefert, wo er erst nach drei Tagen aus dem Koma erwachte.«
     
    Erwartungsvoll sah mich Cora an.
    »Okay«, sagte ich, »das hätte ich nicht gewußt. Ich dachte immer, diese Abschreckungswaffen machen bloß Angst und richten keinen Schaden an.«
    »Ja schon, aber dieser dämliche Markus hat die Pistole direkt an seinen Kopf gehalten, das ist der Unterschied.«
    »Meinetwegen«, sagte ich gereizt.
    »Maja, mein Vater hat in seiner Nachttischschublade auch eine Gaspistole.«
    Ich sah sie groß an. Was hatte sie vor?
    »Wenn dieser Detlef nicht locker läßt, wäre das eine Möglichkeit.«
    »Willst du ihn umlegen?«
    »Man könnte ihn dazu bringen, daß er selbst schießt, genau wie in diesem Artikel. Niemand weiß, was wir gerade gelesen haben.«
    »Cora, das geht zu weit. Wir müssen das anders anpacken. Ich finde, wir müßten etwas gegen ihn in der Hand haben: ihn sozusagen zurückerpressen.«
    Cora rupfte Wollflusen aus meinem Lambswoolpullover. »Könnte hinhauen, meine Eltern sind am Wochenende nicht da. Am Dienstag fahren wir in Urlaub, und bis dahin müssen wir dich gerettet haben.«
    »Was meinst du mit Wochenende und Eltern weg...?«
    »Na, die Party in der Zeitung bringt mich auf eine Idee. Wir laden Detlef ein, Carlo auch, und vielleicht noch ein paar Leute. Dann machen wir diesen miesen Typ besoffen, und ich schmeiß mich an ihn. Ich locke ihn ins Elternschlafzimmer. Er zieht sich aus und deponiert seine Kleider im Bad, weil ich es so will. Das Bad hat zwei Türen, du holst die Sachen heraus und versteckst sie, und wenn er splitternackt ist, laufe ich ihm davon.«
    »Ach Cora, was soll das! Das wird ihn überhaupt nicht beeindrucken. Der rollt sich ins Ehebett, nimmt den Schlafanzug deines Vaters und schläft seinen Rausch aus. Überhaupt, der zieht sich doch nicht nackig aus, wenn du es nicht vorher tust!«
    »Ich ziehe mich auch ein bißchen aus ...«
    Cornelia war mir weit voraus, das ahnte ich. Aber wie weit - das hatte ich nie gefragt, weil ich wußte, daß ich bei diesem Thema nicht mitreden konnte. Ich überwand mich.
    »Cora, wann hast du eigentlich zum ersten Mal richtig mit einem Mann...«
    »Vorgestern.«
    Ich glaubte ihr nicht und peilte sie scharf an. »Etwa der Student?«
    Sie nickte: »Tatsache.«
    »Und - wie war es ?«
    »Hast nichts verpaßt.«
    Ich wußte damals noch nicht, daß Cora die Männer für eine Art Maus hielt, mit der man wie eine junge Katze ein wenig spielt, bevor man seinen Hunger stillt.
    Wir schwiegen lange und sahen zum Fenster auf die flache norddeutsche Landschaft hinaus. Dann kamen wir wieder auf unseren Erpresser zurück und beschlossen, es doch mit einer Party zu versuchen. Ohne Pistole, aber mit der Absicht, ihn irgendwie zu blamieren oder ihm Angst einzujagen. Einschüchterungsversuche durften nicht mit Flucht beantwortet werden, Angriff war die beste Verteidigung.
    »Und wenn alles nichts nutzt?« fragte ich. »Dann bist du weit weg, sonnst dich in Italien und ißt Gelati, während ich ihn um unser Haus schleichen sehe.«
    »Quatsch. Du bist eine Elefantin und wirst ihn niedertrampeln.«
    Das brachte mich auf eine Idee.
     
    Carlo schien erfreut über die Einladung, wahrscheinlich bildete er sich ein, Cora würde diese Party seinetwegen veranstalten. Am Tag vor dem Ereignis radelte ich ins Altersheim. Oft war ich nicht dort gewesen. Ich begab mich ins Stationszimmer. Eine Kollegin meiner Mutter, die mich nicht kannte, betrachtete mich neugierig.
    »Du bist also die Tochter von Frau Westermann! Aber wie eine Elefantin siehst du gar nicht aus.«
    Ich fragte, wo ich meine Mutter erreichen könne, ich hätte meinen Hausschlüssel verloren. Die Pflegerin wollte sie suchen. Kaum war ich allein in dem kleinen Raum, öffnete ich den Arzneischrank und suchte nach Schlafmitteln. Eigentlich sollte man solche Schränke abschließen, dachte ich streng; hier steckten überall die Schlüssel im Schloß, obgleich man den verwirrten Alten sicher nicht trauen konnte. Das größte Depot außer Abführmitteln waren die Tranquilizer und Schlaftabletten.
    Als meine Mutter, etwas verwundert über meinen Besuch, in ihrer weißen Kittelschürze eintrat, erzählte ich auch ihr die Schlüssellüge.

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