Die Häupter meiner Lieben
war mir das Herz aufgegangen, denn solche Scherze hatte es in meiner eigenen Familie nicht gegeben. Ich wollte eine neue gründen, in der es heiter zuging.
Zum Abschied fragte mich die Großmutter, die strickend am Kaffeetisch saß, welche Farbe ich für die Babysachen wünsche. Sie wolle mit der Arbeit beginnen. »Safrangelb«, verlangte ich, und alle schauten mich an. Aber die werdende Urgroßmutter hielt sich in der Folgezeit strikt an meine Anordnung. Jonas erzählte mir, daß man diese Babyfarbe im Dorf als Neuheit gern übernommen hatte. Um es vorwegzunehmen: als das Kind geboren wurde, hatte es die Neugeborenengelbsucht, und nichts konnte ihm schlechter stehen als die safrangelbe Ausstattung.
Als Cora den Führerschein hatte, fuhren wir zuweilen mit dem Wagen ihrer Mutter in die Schule. Eine nie gekannte Vorsichtigkeit, ja Ängstlichkeit, hatte mich erfaßt, und ich mahnte Cora in einem fort, langsamer zu fahren.
»Du machst mich nervös«, klagte sie, »eine schwangere Elefantin ist schlimmer als die eigene Mutter.«
Cora durfte sich solche Reden herausnehmen, ohne daß mein Jähzorn aufloderte. Tatsächlich verwandelte ich mich allmählich in ein plumpes Tier, das sich nur gemächlich bewegen konnte.
Beim Aussteigen passierte es dann. Cora ließ, von meiner Unruhe angesteckt, den Autoschlüssel fallen, und er verschwand in einem Gully. Der Unterricht begann, und wir standen immer noch ratlos vor dem Abwasserloch.
»Wenn du, aus der Hocke, mit Kraft den Deckel hochziehst«, sagte Cora, »dann hast du mit Sicherheit morgen eine Fehlgeburt.«
Sie sah mich fordernd an. Ich ging auf den Vorschlag nicht ein. Ich spürte das Kind, wie es strampelte und lebte, und ich schwieg. Cora verlor schließlich diese Machtprobe, es war eines der wenigen Male, wo ich nicht tat, was sie verlangte. Nach einigen Minuten gingen wir wortlos in das Schulgebäude und ließen später vom Hausmeister den Kanaldeckel aufstemmen und die Wagenschlüssel angeln.
Das zwiespältige Gefühl aber, einerseits ein neues Leben mit einer neuen Familie herbeizusehnen, andererseits diesen Fremdkörper in mir loswerden zu wollen, verstärkte sich. Wie wichtig wären gerade jetzt psychotherapeutische Gespräche gewesen.
Dazu kamen die ersten Zweifel am fürsorglichen Jonas. Die körperliche Freude, die wir aneinander empfanden, war unser wichtigstes Bindemittel gewesen. Diese Anziehung verlor ein wenig an Kraft. Jonas und ich konnten nicht recht miteinander reden, außer über praktische Dinge wie Wohnung, Möbel und Vornamen. Er lachte wenig, er las wenig, er machte sich nichts aus Musik. Seine Interessen lagen auf naturwissenschaftlichem Gebiet. Aber im Gegensatz zu Coras Bruder, der Physik studierte und trotzdem zu kindlichen Spaßen neigte, war Jonas humorlos. Oder lag es an mir, war ich im Umgang mit Cora so darauf eingespielt, herzlich albern zu sein, daß ein ernster Mann wie Jonas davon abgestoßen wurde? Manchmal schob ich alle Ängste auf meinen Zustand. Vor mir lagen das schriftliche Abitur, die mündliche Prüfung, zwei Wochen später die Hochzeit auf einem fremden Bauernhof und nicht allzu lange darauf die Entbindung. Es schien ein volles Programm zu sein.
Die Mathematik-Klausur, die wir bei der Reifeprüfung schreiben mußten, war der einzig heikle Punkt. Cora hatte ein bewährtes Mogelsystem benutzt. Wir schrieben die Aufgaben ab, ich ging aufs Klo und warf die Bogen, die ich in meinem weiten Umstandskleid mühelos verbergen konnte, in einen bestimmten Papierkorb. Ein Schüler der zwölften Klasse, der Cora verehrte, schmuggelte unsere Aufgaben aus dem Schulgebäude heraus, wo zwei Mathematikstudenten warteten. In einem Cafe rechneten sie fieberhaft die Ergebnisse aus, die zu einer vereinbarten Zeit wieder im gleichen Papierkorb liegen mußten.
Einer hochschwangeren Schülerin genehmigt der aufsichtsführende Lehrer vermehrte Toilettenbesuche. Mit den fertigen Aufgaben im Bauch erschien ich wieder im Klassenraum, gab ein leichtes Unwohlsein an und bat - vor den Argusaugen des Lehrers - Cornelia um einen Schluck aus ihrer Limonadenflasche. Während sie sich nach ihrem Proviant bückte, ließ ich das für Cora bestimmte Rechenblatt zu Boden gleiten und lenkte dabei durch unheilvolles Stöhnen die Blicke auf meinen trächtigen Leib.
»Ich glaube fast, das war eine Wehe«, sagte ich, und niemand achtete mehr auf Cora. Als es mir »besser« ging, schrieb ich das Studentenwerk ab, und kein Lehrer hätte gewagt, mir genauer auf
Weitere Kostenlose Bücher