Die Häupter meiner Lieben
Eingriffs überschritten war. Dann würden sie staunen, die eigenen und Coras Eltern, die Lehrer und Mitschüler.
Frau Schwab gehörte nicht zu den Müttern, die morgens Kakao kochen. Wenn Cora und ich, meistens ohne Frühstück, das Haus verließen, lag sie noch mit dem schnarchenden Professor im persischrosa Bett. Aber das hieß nicht, daß sie schlief oder taub war. Im Gegenteil, hellhörig hatte sie durch mehrere Wände hindurch mein morgendliches Würgen erlauscht und messerscharfe Schlüsse gezogen. Wahrscheinlich war sie trotz des Schreckens erleichtert, daß es nicht die eigene Tochter war.
Zuerst hatte sie versucht, Cora auszuhorchen. Aber meine Freundin sagte ihren Eltern nicht so schnell die Wahrheit. Wahrscheinlich fiel ihr die Abnabelung von ihren Erzeugern besonders schwer, weil sie, im Gegensatz zu mir, wenig an ihnen aussetzen konnte.
»Frag sie doch selbst«, sagte Cornelia zu ihrer Mutter, die mir (etwas verlegen) die entscheidende Frage stellte: »Maja, erwartest du ein Kind?«
Wir wurden beide rot. Wie schwer muß es für den Professor und seine Frau gewesen sein, diese Tatsache zu verdauen. Ich war erst achtzehn, sie hatten die Verantwortung für mich übernommen und waren meinen Eltern Rechenschaft schuldig. Natürlich boten sie mir eine schnelle und diskrete Abtreibung an - ja, sie versuchten sie mir aufzudrängen. Bei ihrer eigenen Tochter hätten sie genauso gehandelt. Aber mein Trotz war groß. Jetzt gerade, ich kämpfe um mein Kind, so dachte ich, und spürte genußvoll die Macht, meine Ersatzeltern mit meinen Problemen zu terrorisieren. Gewiß hatten sie das nicht verdient; ich nahm an den Falschen Rache, strafte sie für die Demütigung, daß sie nicht meine richtigen Eltern waren. Mein eigenes instinktives Aufbegehren gegen das ungewollte Kind hatte ich schnell verdrängt.
Familie Schwab mußte aufgeben; Cora tat es als erste. Sie akzeptierte meine Sturheit. Schließlich, ich war im dritten Monat, schrieb ich meinen Eltern und Onkel Paul und sprach mit meinen Lehrern. Ich brauchte nicht mehr am Sportunterricht teilzunehmen (mußte dafür aber zur kommunalen Schwangerschaftsgymnastik) und wurde von den Mädchen meiner Klasse ständig nach meinem körperlichen Befinden gefragt, von den Jungen etwas befremdet angestarrt. Cora nahm Fahrstunden, ich strickte ein Babyjäckchen in Safrangelb: eine Farbe, die für beide Geschlechter taugte und zu den erwarteten dunklen Augen passen würde.
Jonas hatte inzwischen nachgedacht und mit seinem Beichtvater gesprochen, wenn es auch länger gedauert hatte, als mir begreiflich war. Er hatte das Medizinstudium »vorläufig« aufgegeben und einen Kurzlehrgang bei einer pharmazeutischen Firma begonnen. In einem halben Jahr konnte er schon mit dem Einsatz als Ärztebesucher anfangen. Bereits während der Ausbildung bekam er ein Gehalt, das sich steigern würde. Pharmareferenten wurden gut bezahlt. Wir sollten in der Nähe von Mannheim, eventuell in einer ländlichen Gemeinde, eine preiswerte kleine Wohnung suchen.
Die Eltern von Jonas hatten sein Geständnis ohne nennenswerte Gemütsbewegung aufgenommen. Bei sieben Kindern, die alle streng und fromm erzogen waren, schien man an gewisse Entgleisungen gewöhnt. Ich wurde zu einem Besuch eingeladen, und auch die Hochzeit sollte dort gefeiert werden. Wo auch sonst?
Jonas fuhr an einem frühlingshaften Samstag mit mir zum elterlichen Hof. Er war viel aufgeregter als ich.
Wenn schon Jonas ein wortkarger Mensch war, so schien der Rest der Familie fast aus Taubstummen zu bestehen. Es gab Kaffee und wunderbaren Streuselkuchen, von dem man mir wortlos immer neue Stücke auf den Teller legte. Ihren Dialekt verstand ich kaum. Sie nahmen mich ohne Begeisterung, aber auch ohne Vorurteile auf. Meine Befürchtungen, die frommen Bauern könnten mich als gefallenes Mädchen einschätzen, waren absurd. Diese Eltern nahmen die Dinge, wie sie nun einmal waren. Die Mutter fragte, ob ich katholisch werden wolle. Ich schüttelte den Kopf.
»Das verstehe ich«, sagte sie, »aber beim Kind muß es sein.«
Ich nickte. Meinetwegen.
Eigentlich konnte ich nichts gegen diese Leute einwenden; sie waren in Ordnung, es gab keine falsche Herzlichkeit und keine Ausfragerei. Aber es war nicht meine Welt. Ein Tischgebet war mir fremd.
Mir fiel eine Mahlzeit zur Weihnachtszeit im Professorenhaus ein. Friedrich aus Amerika war zugegen. Es gab geschmortes Herz, und beim Auftragen sangen wir vierstimmig: >Bonjour mon cœur!< Damals
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