Die Häupter meiner Lieben
die Finger zu sehen. Cora und ich lieferten beim Abitur die beste rechnerische Leistung unserer gesamten Schulkarriere ab. Alle anderen Prüfungen bestanden wir auch ohne Fremdarbeiter.
Zur Hochzeit lud ich meinen Vater, meine Mutter und meinen Geldonkel Paul ein. Mutter sagte schriftlich ab, deutete aber an, daß sie Jonas und mich besuchen werde, wenn unser Kind geboren sei. Onkel Paul sagte ebenfalls ab, und zwar nicht direkt aus Unlust, sondern weil er zu diesem Zeitpunkt auf Fotosafari in Afrika sei. Vater hatte sich überhaupt nicht gemeldet, aber bei der Hochzeit war er auf einmal da.
»Leider habe ich keine Geschenke. Ich selbst bin die Überraschung«, sagte er und stand in einem, bereits zu Carlos Beerdigung geliehenen, grünlich schillernden schwarzen Anzug vor uns.
Die Professorenfamilie vertrat meine Seite mit Würde, denn auf Jonas' Konto ging das halbe Dorf und seine sechs Geschwister, zum Teil schon mit eigenen großen Familien. Trauzeugen waren Karsten und Cora.
Meine Schwiegereltern hatten sich viel Mühe gegeben. Es war herrliches Sommerwetter, und wie im Bilderbuch konnten wir alle auf einer großen Wiese unter Apfelbäumen sitzen und feiern. Ein Brueghelsches Hochzeitsmahl wurde aufgetafelt, knuspriger Schweinebraten, frisches Brot und Bier. Vater war schnell angetrunken; nicht weil er wenig vertrug, sondern weil er im ungewohnten Anzug schwitzte und hurtig zu den Bieren einen Schnaps nach dem anderen kippte. Ständig wollte er mit seinem Schwiegersohn reden und ihm ebenfalls Schnäpse eintrichtern. Aber in diesem Punkt war Jonas standhaft, er war von klein auf an ländliche Feste gewöhnt und kannte sich mit allen Formen der Trunksucht aus. Jonas nahm ihm die Schnapsflasche weg. Vater jedoch sorgte für Nachschub. Als er nur noch torkelte und lallte, wurde er von Jonas und seinen starken Brüdern in eine Kammer verfrachtet und abgeladen.
Der Professor übernahm die Vaterrolle und hielt eine kleine Rede. Frau Schwab hatte mich so hübsch eingekleidet, wie es unter den Umständen denkbar war. Am meisten rührte mich, daß sie mir einen Besteckkasten mit Familiensilber schenkte. Das Monogramm einer Großmutter M.D. passe nun zu mir, sagte sie, denn ich hieß nicht mehr Maja Westermann, sondern Maja Döring. Cora brachte mir einen schicken Kinderwagen; später hat sie mir erzählt, daß sie ihn vor einem Supermarkt stehen sah und nach Hause schob. Die Geschenke der vielen Gäste waren praktischer Art, zum Teil Bargeld. Auch fünf Bügeleisen, zwei Toaster und mehrere häßliche Vasen waren darunter.
Spät am Abend stellte man fest, daß Vater nicht in seiner Kammer lag. Jung und alt suchte ihn. Schließlich fand man ihn mit einer blutenden Kopfwunde im Keller. Auf der Suche nach Flüssigem war er die Stiege hinuntergestürzt. Er mußte genäht werden.
Übrigens hatte auch der Professor im Laufe der Feier mehr als seinen üblichen Sherry getrunken. Er, der immer sorgend, aber nie vertraulich zu mir gewesen war, legte den Arm um meine Schulter, und gemeinsam promenierten wir durch den dunklen Gemüsegarten. Es war selten, daß er seine friedliebende Gleichgültigkeit aufgab und persönlich wurde.
»Es wird einsam für uns werden; Cornelia in Florenz und du im Schwarzwald, ohne euer Lachen und eure Umtriebe wird es langweilig.« Was meinte er mit Umtrieben? Aber er fuhr fort: »Ich hoffe, daß du uns oft besuchst.«
Mir kamen Tränen in die Augen. Jetzt wäre der Moment gekommen, ihm für alles zu danken. Aber die Gabe der gefälligen Rede war mir in solchen Momenten nicht gegeben. »Die zwei Jahre bei Ihnen waren die schönsten in meinem Leben«, sagte ich, »diese Menschen auf dem Dorf sind mir fremd.«
»Maja, du bist voller Vorurteile. Hier herrscht weder die heile Welt noch die absolute Kulturlosigkeit. Die Eltern von Jonas können sich, trotz ihrer sieben Kinder, nicht ausstehen, hast du das schon bemerkt? Und hörst du, daß sich die Landwirte nicht über die Maisernte, sondern über Computer unterhalten? Hast du den Salat probiert, den eine Bauersfrau bereitet hat? Diese Frau könnte einem Chefkoch das Wasser reichen, nicht wahr.«
Ich hatte das alles nicht beobachtet. »Und was halten Sie von Jonas?« fragte ich plump, wobei ich wohl ahnte, was er von ihm hielt.
»Ein guter Junge, Maja«, sagte er und führte mich weg, weil in der Ecke des Kohlbeetes zwei Gäste ihr Wasser abschlugen.
Der Abschied von Cora und ihrer Familie war schmerzlich. Sie wollten im Gasthaus übernachten,
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