Die Häupter meiner Lieben
der Grund, daß ich mich damals mit solcher Leidenschaft an Jonas klammerte.
Als die Ferien zu Ende gingen, gab es einen herzzerreißenden Abschied. Annie und Fred fuhren nach Paris, weil die Amerikanerin nicht nach Hause wollte, ohne den Eiffelturm gesehen zu haben. Friedrich hatte seine Begeisterung für die Staaten und Annie mit den Schwitzhänden in dem Maße verloren, wie er mich für attraktiver hielt. Wahrscheinlich schmiedete er bereits damals Pläne, seine Braut durch Flucht abzuschütteln.
Es war die Trennung von Jonas, die ich kaum ertrug. Ich schämte mich kein bißchen, vor der versammelten Familie zu weinen, meinen Liebsten wie ein Klammeraffe zu umfangen und schließlich wie eine indische Witwe kurz vor der Verbrennung willenlos ins Auto der Professorenfamilie zu sinken.
Der Professor hatte meinen leidenschaftlichen Abschied etwas ungeduldig angemahnt: »Fertig, nicht wahr?« Cora und ihre Mutter tauschten einen seltenen Blick des Mitleidens.
Jonas studierte in Freiburg, in zwei Stunden konnte er am Wochenende vor unserer Tür stehen und mich zu einer Liebesfahrt abholen. Dieses Versprechen hielt er ein. Er selbst wohnte in einem katholischen Studentenheim, wo weiblicher Besuch zwar nicht generell verboten, aber ungern gesehen war. Mehrmals fragte ich, warum er sich kein anderes Zimmer suche. Es waren finanzielle Gründe. Jonas bekam durch klerikale Beziehungen einen beachtlichen Mietnachlaß; sein älterer Bruder war in einen Orden eingetreten. Die Eltern, die einen Bauernhof im Schwarzwald besaßen, hatten alle sieben Kinder streng und fromm erzogen. So kam es, daß ich Jonas nie besuchte, er aber jedes Wochenende bei uns zu Gast war. Nur unser Liebesleben fand in seinem Wagen statt (sogar, als es kälter wurde). Bei unzähligen sonntäglichen Mahlzeiten hielt Jonas als Parasit mit. Die großzügigen Eltern beobachteten dieses weitere Familienmitglied anfangs mit Interesse, das jedoch erlahmte. Die Qualität von Jonas lag eher im freundlichen Zuhören als im amüsanten Geplauder.
Fünf Monate vor dem Abitur hatte ich den schrecklichen Verdacht, schwanger zu sein. Ich sprach zuerst mit Cora.
Wie immer wußte sie Rat. »Auf keinen Fall mit meinen Eltern reden, sonst gibt es eine Riesenaufregung«, sagte sie, »wir holen in der Apotheke einen Schwangerschaftstest. Sollte er positiv sein, mußt du sofort Jonas anrufen. Als Mediziner wird er sich ja auskennen.«
Jonas war im zweiten Semester, aber ich vertraute ihm und seiner tröstlich-warmen Stimme grenzenlos. Der Test fiel positiv aus, und ich rief an. »Ich bin schwanger«, verkündete ich.
Er schwieg.
Ich versuchte, mir sein Gesicht vorzustellen. Nach längerer Pause sagte ich: »Sicher weißt du Bescheid, wie man es wegmachen läßt. Soviel ich weiß, muß ich zuerst zu einer Beratungsstelle.«
Er schwieg weiter, es wurde mir unheimlich. War er nicht allein? »Maja«, sagte er schließlich kaum hörbar, »so etwas darfst du nie wieder sagen.«
Was sollte das heißen? Wir mußten doch darüber sprechen! Ich wurde nervös. »Dann sag endlich etwas!«
»Ich muß überlegen«, sagte Jonas so langsam, daß man deutlich merkte, wie er Zeit schinden wollte. »Abtreibung ist Mord. Eine Sünde.«
Endlich verstand ich, daß sein tiefer Glaube ein weiteres Problem darstellte. Aber wenn der Glaube angeblich Berge versetzte, konnte er einen dicken Bauch verhindern? Voll Scham und Entsetzen sah ich mich mit einem schreienden Säugling in Coras Zimmer sitzen, ohne Geld, ohne Mann, ohne Beruf, einzig auf die Gnade fremder Eltern angewiesen. Es war noch angegangen, daß Jonas gelegentlich mit bei Tisch saß, aber die ständige Anwesenheit eines Babys war indiskutabel.
»Jonas«, drohte ich, »wenn du gleich von Mord und Sünde sprichst, dann denk mal über deine Rolle in diesem Stück nach...«, ich mußte weinen.
»Unser Pfarrer ist dummerweise noch im Urlaub«, sagte Jonas, »ich kann erst nächste Woche mit ihm sprechen.«
Nun stieg die Wut in mir hoch. Wenn ich jähzornig werde, könnte ich alles niedertrampeln. »Laß den Pfaffen aus dem Spiel«, schrie ich, »ein Gynäkologe ist wichtiger! Aber ich werde allein einen finden!« Ich legte auf.
Cora kam nach diesem Gespräch hereingeschossen, sicher hatte sie mich gehört. Sie sah mein verheultes Gesicht und nahm mich in die Arme. »Wir brauchen diesen Menschen nicht, wir werden auch ohne ihn mit allem fertig. Denk nur an Detlef.«
Ich konnte nicht lachen. Die Kindereien mit Detlef hatten nichts
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