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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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»Jonas, du kannst heute mit Maja in meinem Zimmer schlafen, ich habe schon alles hinübergetragen.«
    Friedrich beeilte sich, das Zimmer zu verlassen; ich hoffte, daß er seinerseits aufräumte. Im übrigen ließ er sich an diesem Abend nicht mehr blicken.
    Während ich Jonas gegenübersaß und er mir von seinen Eltern erzählte, fiel mir auf, daß außer ihm bereits mein Vater, Friedrich und auch ich unangemeldet hier vor dieser Tür gestanden hatten; eigentliche Asylanten waren aber nur Vater und ich gewesen, die beiden anderen konnten als Gäste gelten.
    »Mein Vater ist jetzt ein reiner Pflegefall«, sagte Jonas. »Mutter muß ihn anziehen und füttern, aber sie kann ihn natürlich nicht hochheben, das muß ich machen.«
    Ich hatte noch die Worte des Professors im Ohr, daß sich dieses Ehepaar trotz der vielen Kinder nicht ausstehen konnte. »Wäre es nicht besser, dein Vater käme in ein Pflegeheim?« fragte ich.
    Jonas war entsetzt. Er hatte es eilig, nach dem Abendessen ins Bett zu gehen. Im Gegensatz zu mir war er ausgehungert nach Liebe. Ich wäre lieber nach guter Gewohnheit mit Friedrich schlafen gegangen, aber mir fiel kein plausibler Grund ein, meinem Ehemann dieses Recht zu verweigern.
    Jonas war voller Zärtlichkeit, und ich schämte mich. Aber als er damit anfing, daß wir doch zusammengehörten und er Béla und mich heimholen wollte, da gab es Krach. »Genausogut könnte ich verlangen, daß du hier bei mir bleibst«, argumentierte ich.
    »Das darf wohl nicht dein Ernst sein«, sagte Jonas, »meinst du, ich kann ein Leben als Schmarotzer ertragen? Von Coras Geld leben und dafür hin und wieder einen kleinen Botengang übernehmen oder die Lorbeerhecke schneiden?«
    »Also hältst du mich für eine Schmarotzerin?«
    »Ich urteile nicht über dich. Aber ich kann dir aus Erfahrung versichern, daß man sich nach körperlicher Arbeit ganz gut fühlt und jedenfalls zufriedener ist, als wenn man nur in der Sonne liegt.«
    »Es gibt auch andere Arbeit als körperliche«, und ich erzählte ihm von meiner Tätigkeit als Deutschlehrerin und dem Studium der italienischen Sprache. Jonas fand das nichts Ganzes und nichts Halbes. Schließlich schlug ich vor, daß wir uns scheiden lassen sollten. Natürlich kamen nun die katholischen Argumente, gegen die ich machtlos war.
    Am nächsten Morgen wachte ich spät auf. Jonas lag nicht mehr neben mir. Ich putzte mir die Zähne und lief im Nachthemd die Treppe hinunter. Cora schlief anscheinend noch, Friedrich war nicht zu sehen. Aber Emilia lief mir händeringend entgegen. Eben sei Jonas mit Béla im Auto davongefahren! Sekundenlang dachte ich an Entführung. Emilia schien den gleichen Gedanken zu haben: »Bevor er unser Kind mit nach Deutschland nimmt, werde ich ihn erschlagen!« Sie sah bei diesen Worten so wild aus, daß ich fast Angst vor ihr bekam.
    In diesem Augenblick fuhr Jonas bereits wieder vor und stieg mit Béla und einem großen Weißbrot aus. »Ich wollte Frühstück für euch Langschläfer machen«, sagte er freundlich, »aber es war kein Krümel mehr im Hause.«
    Später hatte Jonas einen weiteren Entschluß gefaßt. »Komm, Maja«, sagte er, »wir besuchen deinen Vater.«
    »Ich war erst vor einer Woche dort«, sagte ich.
    Schließlich fuhr er ohne mich. Eine Stunde später war er wieder da und führte Vater in den Garten. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Weder Jonas noch Vater verstanden Italienisch, aber es gab eine Krankenschwester, die Deutsch sprach und sich für diesen Besuch eingesetzt hatte. Vater war sehr schwach und konnte kaum ein paar Schritte gehen.
    Er sagte auch nicht viel, schaute in die Bäume und den Himmel und seufzte. Er aß und trank nichts.
    Jonas hatte sich inzwischen mit seinem Barthel angefreundet und versuchte, ihm das Wort »Papa« zu entlocken. Mein Kind sagte eigensinnig: »Mila, Mala, Béla, Cola.« Die beiden saßen im hinteren Garten und ließen mich mit meinem Vater allein. Schließlich kam Cora, sah meine Hilflosigkeit und überredete Vater, ihr Atelier zu besichtigen. Es dauerte lange, bis er die Treppe geschafft hatte.
    Als Vater das halbfertige Gemälde sah, schüttelte er den Kopf. >Giuditta decapita Oloferne<, hatte Cora in gotischen Lettern unter das Bild geschrieben.
    »So sieht der Holofernes nicht aus«, sagte Vater. Wir gaben zu, daß er recht hatte. Der Taxifahrer war zwar ein begeistertes Modell gewesen, aber er überzeugte nicht als leidender Bösewicht. »Ich wäre viel besser«, schlug Vater vor und

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