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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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streckte sich auf die Liege. »Nimm den Säbel, Infantin!« befahl er. Zögernd nahm ich die Waffe. Was hatte er zuletzt gesagt? Cora beobachtete uns aufmerksam. »Na, schlag schon zu«, sagte er, »dann bist du mich endlich los.«
    Ich ließ den Säbel sinken und sah ihn an. »Es lohnt sich nicht mehr«, sagte ich und verließ das Atelier.
    Cora machte viele Skizzen von Vater. Wie ein Sterbender sah er freilich aus, aber sonst hatte er nichts von meiner Vorstellung des Holofernes, vor allem keinen wilden Bart.
    Jonas brachte Vater nach drei Stunden ins Krankenhaus zurück. Emilia kochte, Cora und ich saßen im Garten und rauchten. Pippo nagte an Friedrichs liegengebliebenem Schuh. Ich war so mißmutig, daß ich nichts dagegen unternahm. Cora nahm meinen Sohn auf den Arm. »Bella, bella, bella Marie, häng dich auf, ich häng dich ab morgen früh«, sang sie.
    »Wie kannst du dem Kind so einen Mist vorsingen«, fuhr ich sie an.
    »Mein Gott, du bist aber heute empfindlich, er versteht doch nur >bella<«, sagte sie.
    »Da soll man lustig bleiben, Vater will von mir erstochen werden, Friedrich ist seit gestern verschwunden - wahrscheinlich will er mein Familienglück nicht stören -, und Jonas setzt alles daran, mich und Béla heim in sein Reich zu holen. Dabei kann ich seinen Standpunkt sogar verstehen. Wenn es umgekehrt wäre und Béla von Oma und Uroma im Schwarzwald aufgezogen würde, dann hätte ich auch nur den einen Gedanken, ihn zu entführen.«
    Cora überlegte. »Das regelt sich alles von allein. Dein Vater macht es nicht mehr lange. Jonas ist zu Entführungen nicht fähig, er ist zu lieb und zu langweilig. In drei Tagen wird er wieder deutsche Erde pflügen, und spätestens dann kommt Friedrich zurück.«
    Ich ließ mich beruhigen und nahm Pippo den angebissenen Schuh weg. Als Jonas kam, gab es Essen. Emilia lauschte angestrengt der deutschen Unterhaltung. Das Telefon klingelte, und sie lief ausnahmsweise hin. »Maja«, rief sie, »Papa tot!« Eine Stunde nach seinem Besuch war mein Vater an einer erneuten Blutung gestorben.
    Kurze Zeit darauf rief Friedrich an. Cora sprach mit ihm. Er wolle uns nur beruhigen, er habe in einem Hotel übernachtet.
    »Wir haben nicht angenommen, daß du dich unter einen Zug geworfen hast«, sagte Cora kühl, »Majas Vater ist gerade gestorben.«
    Friedrich war bestürzt. Eigentlich hatte er nur herauskriegen wollen, wie lange Jonas in Florenz blieb; nun versprach er, am nächsten Morgen zu kommen und mir beizustehen.
    »Weißt du was«, sagte Cora zu mir, »Friedrichs Anruf bringt mich auf eine Idee. Nach dieser Aufregung hast du ein bißchen Ruhe und Vergnügen verdient und nicht schon wieder Streß mit zwei Männern. Morgen fahren wir in aller Frühe ans Meer, du und ich, Béla und Emilia. Die beiden Kerls sollen sich um die Beerdigung kümmern. Wir fliehen.«
    Wir sagten kein Wort von unserem Plan zu Jonas, weihten aber Emilia ein. Sie packte und schien sich über die Maßen auf diesen Ausflug zu freuen. Am anderen Morgen schickten wir Jonas frisches Brot holen und luden in aller Eile den Wagen voll.
    »Ich muß ein anderes Auto kaufen«, sagte Cora, »als Familienkutsche ist der Cadillac nicht geeignet.« Cora hatte Jonas und Friedrich einen Zettel hinterlassen: Maja ist völlig am Ende und braucht ein paar Tage Erholung. Kümmert euch um die Beerdigung.
    Als wir atemlos und laut lachend losfuhren, sahen wir in der Ferne Jonas nahen. Wir wählten eine Seitengasse und konnten ihm ungesehen entkommen.
     
    Diese kleine Reise, die schließlich zwei Wochen lang dauerte, entschädigte mich großzügig für allen Ärger. Wir nahmen zwei Zimmer in einem kleinen Hotel direkt am Meer und verbrachten die Tage so fröhlich und unbeschwert, als wären wir sechzehn. Es war noch sonnig und warm, man konnte sogar baden, aber der Touristenschwarm war abgezogen, und der Strand gehörte uns. Emilia war selig. Barfuß lief sie mit Béla und Pippo durch den Sand und suchte Muscheln.
    »Das haben wir verdient«, fand Cora, »man muß auch mal etwas von seinem mühselig erworbenen Vermögen haben.« Es war klar, daß ich durch meine tatkräftige Hilfe ebenfalls ein Anrecht darauf hatte.
    Hin und wieder meldete sich mein Gewissen im Traum. Eigentlich müßte ich meinen Vater »zur letzten Ruhe betten«. Aber was hätte er davon? Friedrich nahm solche Pflichten gewissenhaft wahr, sollte er doch diese Aufgabe übernehmen! Ob sie uns suchen würden? Ich nahm an, daß Jonas umgehend nach Hause fuhr,

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