Die Häupter meiner Lieben
Atmosphäre mit einem turtelnden Liebespaar, einem krähenden Kleinkind, das ständig von einem Welpen angeknabbert wurde, einer selbstbewußten Magd und einer rauschhaft malenden Witwe weder gutheißen noch verstehen.
Rosa Wolke
Es gibt Beschäftigungen, die dem Menschen individuelles Glück bereiten. Emilia liebt es, Teig mit den Händen zu kneten, nie käme ihr eine Küchenmaschine ins Haus. Noch lieber schneidet sie Fleisch. Sie behauptet, eine frische Lammkeule mit einem scharfen langen Messer m Gulaschstücke zu zerlegen, sei ein einzigartiges Gefühl der Wollust.
Ich kann sie darin nicht verstehen; sie wiederum schüttelt den Kopf, wenn ich hingegeben aus meinem Fenster in den verwilderten Nachbargarten schaue. Ich habe eine Schwäche für braunes Gras; hüfthohe vertrocknete Stengel, verdorrte Stauden, versteppter Rasen oder welkes Rohr sind für mich der Inbegriff aller Schönheit, besonders wenn spätes Licht oder Morgensonne darauf fällt. Sollte eine Katze in dieser Wildnis nach Mäusen jagen, ist mein Glück vollkommen. Ich könnte verharren und die Welt vergessen.
Cora hat andere Marotten. Wie viele Menschen, die gern im Süden Urlaub machen, sieht sie gern alte Dächer mit Römerziegeln, und diese Liebe teile ich. Schwalben segeln in blauer Luft, es duftet nach Pinien, die Grillen zirpen - das ist einer der Gründe, warum wir hier leben wollen. Aber Cora sammelt nicht nur Eindrücke, sondern auch Gegenstände: bunte Federn, Kaleidoskope und Parfüm lasse ich mir ja gefallen, aber ihren Hang zu toten Tieren teile ich nicht. Sie wünscht sich Galileos Finger, den wir eingeweckt in einem Museum betrachten konnten; aber da spiele ich nicht mit.
Es gab eine Zeit, da habe ich bedingungslos gehorcht, wenn Cora etwas von mir wollte. Nicht nur in Geldangelegenheiten, auch in Gefühlsdingen war ich in hohem Maße von ihr abhängig. Damals hätte ich wahrscheinlich Galileos Finger ohne mit der Wimper zu zucken in ein Butterbrotpapier gewickelt. Seit ich selbst Geld verdiene, überlege ich sehr bewußt, ob ich mich ihr zuliebe in Gefahr begebe.
Bereits nach Hennings Tod begann ich unauffällig, etwas Nützliches zu tun. Ich gab einem jungen albanischen Flüchtling Unterricht. Wir hatten ihn beim Einkaufen auf dem Markt kennengelernt, wo er seinem Onkel beim Gemüseabwiegen half. Zweimal in der Woche saßen wir zusammen im Garten, und ich fragte ihn aus einem altmodischen Lehrbuch >Deutsch für Kellner< kleine Sätze ab. »Winschen Sie gerillte Teigtasch mit Gemies?« fragte er, und ich erklärte, daß heute jeder Tourist wüßte, was Ravioli sind. »Mechten Sie Rechnung?« war seine letzte Frage, wenn er zufrieden aufhörte. Ich verdiente zwar kein Geld mit dieser Tätigkeit, aber mein Schüler brachte stets einen Korb voll Obst mit. Ich freute mich darüber, als wenn ich die Früchte eigenhändig gestohlen hätte.
Bei unserem letzten Besuch im Krankenhaus hatte uns der behandelnde Arzt sprechen wollen. Ich wußte sowieso, daß es schlecht um meinen Vater bestellt war. Er magerte ab und litt unter vermehrter Infektanfälligkeit. Der Arzt meinte, es sei wieder zu einer Blutung aus der Speiseröhre gekommen. Man werde Vater erlauben, gelegentlich ein paar Stunden bei uns zu verbringen, wenn wir ihn mit dem Wagen holen und zurückfahren würden. Der Arzt deutete an, daß er mit der Staatsanwaltschaft gesprochen habe und man dort wisse, daß der Patient den Prozeßbeginn mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erlebe. Die Kopfverletzung sei unwesentlich. Vater starb an den Folgen jahrzehntelangen Alkoholmißbrauchs.
Ich hatte nicht vor, Vater abzuholen. Er tat mir zwar leid, aber andererseits hatte er nie einen Finger für mich krumm gemacht, und ich sah nicht ein, daß ich mehr für ihn tun sollte, als ihn gelegentlich kurz zu besuchen. Friedrich gab mir in diesem Punkt nicht recht, Cora hielt sich raus. Emilia wurde nicht gefragt.
Als es Herbst wurde und wir wieder gern in der Sonne saßen, stand eines Tages Jonas vor der Tür. Béla erkannte seinen Vater nicht und streckte die Arme weinend nach Emilia aus. Jonas war verlegen. Die Ernte sei zwar noch im Gange, aber fast fertig. Er habe es nicht mehr ausgehalten. Nun sei er da, um uns zu holen - aber diese Worte kamen unsicher. Ich sagte erst einmal nichts, hielt Béla auf dem Schoß, lächelte Jonas an und hoffte, Friedrich und Cora würden inzwischen schnell und diskret meine Sachen aus dem Eheschlafzimmer entfernen. Aber Cora war schlauer:
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