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Die Haie vom Lotus-Garten

Die Haie vom Lotus-Garten

Titel: Die Haie vom Lotus-Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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gros.
    Erwin besaß keinen zweiten
Vornamen. Das S war reine Erfindung. Er meinte, so eine Ergänzung wirke
seriöser als eine schlichte Erwin-Benennung. Wenn man ihn fragte, wurde aus dem
S meistens ein Sebastian, manchmal auch ein Siegfried oder Stephan. Wenn ihn
der Teufel ritt, dann sogar ein Steve — was er vor Fremden mit seiner
englischen Mutter begründete. Tatsächlich stammte Elfriede Polluk aus Leipzig
und beherrschte neben dem Hochdeutschen auch das Sächsische, aber kein Wort
Englisch.
    Beate schloß auf, trat ein,
machte Licht und steckte den Schlüssel nach innen.
    Küßchen wieselte zu einem der
Sessel und sprang hinauf. Es gab zwei. Auf dem einen lag eine alte Decke,
eigens für den Dackel ausgebreitet, denn seine Pfoten waren meistens
ungewöhnlich dreckig. Leider mochte er die Decke nicht und sprang stets auf den
anderen Sessel.
    Beate nahm ihren Liebling auf
die Arme. Er wußte, was kam, und knurrte verhalten.
    „Ruhe, du Mistvieh! Sonst
schimpft Erwin. Wie sollen denn Besucher hier Platz nehmen.“
    Sie setzte Küßchen auf die
Decke, ging zur Tür zurück, schloß ab, stellte die Tasche in eine Ecke, zog den
Mantel aus und schloß dann eilig die Fenstervorhänge. Der dunkle Hof machte ihr
Angst. Wie leer und verlassen der jetzt war — immer am Wochenende.
    Sie blieb stehen und horchte.
Diese Stille im Haus! Es dröhnte in den Ohren. Aber das war nicht die Stille,
sondern eine unbestimmbare Furcht.
    „Total grundlos!“ sagte Beate
laut. „Ich bin eine blöde Gans. Nervosität ist doch sonst nicht mein Ding.
Wahrscheinlich ist dieser Vorfall im Parkhaus daran schuld. Das war ja auch
schlimm. Eine Verfolgungsjagd unter Kriminellen! Auch in dieser Millionenstadt
erlebt man das nicht täglich. Ich meine, der Verfolger war schneller. Bestimmt
hat er den Flüchtenden erwischt. Und dann folgte ein blutiges Gemetzel.
Schrecklich!“
    Sie entsann sich. Auf dem
zweiten Parkdeck hatte sie die beiden für einen Moment voll im
Scheinwerferlicht gehabt. Dann war sie abgebogen in die Ausfahrt — im
Bestreben, das Parkhaus möglichst rasch zu verlassen.
    Sie drehte die Heizung weiter
auf und rieb sich schaudernd die Arme, die sie dann um sich schlang. Sie trug
einen dicken Pullover.
    Das Telefon klingelte.
    „Bei Polluk“, meldete sie sich.
    „Ich bin’s“, erwiderte Erwin.
    „Wo steckst du?“
    „Immer noch in Rödelkirchen.
Zum Kotzen!“
    „Was? Was machst du dort?“
    Rödelkirchen ist ein schmucker
Ort in der Region. Beate hatte in Erinnerung, daß ihr Liebster dort einen
Kunden besuchen wollte — einen Trödelmarkt- und Altmöbel-Händler, in dessen
Warenangebot Modeschmuck durchaus paßte. Trotz dieser Erinnerung fragte sie mit
Nachdruck.
    „Du weißt doch“, sagte Erwin
ungeduldig. „Ich mußte zu Plaschhuber. Toll! Er nimmt die ganze Kollektion. Im
Birnenwirt habe ich ihn eingeseift. Drei Bier, drei Schnäpse — und Plaschhuber
hat alle Aufträge unterschrieben. Er verträgt nichts. Hat’s an der Leber. Er
darf auch nichts Fettes essen. Aber, zum Teufel, deshalb rufe ich nicht an.“
    „Wann kommst du denn?“
    „Den letzten Bus habe ich
verpaßt. Jetzt muß ich den Zug nehmen. 21.55 Uhr bin ich am Hauptbahnhof. Holst
du mich ab?“
    „Natürlich. Aber der ganze
Abend ist hin.“
    „Überhaupt nicht! Wir gehen
noch zum Italiener und dann ins Büro.“
    „Klasse!“ freute sie sich. Denn
die Aussicht auf Cannelloni, Lasagne und Ossobuco ließ ihr Herz höherschlagen.
Der Gedanke an die vielen Kekse vom Nachmittag wurde verdrängt.
    „Ich sitze hier im
Bahnhofslokal“, sagte Erwin, „und kann hören, was im Radio kommt. Steile
Antenne hat vorhin eine Nachricht gebracht, eine Durchsage. Im ersten Moment
war ich richtig erschrocken. Aber du kannst das nicht sein.“
    „Was meinst du?“ fragte sie.
    Er lachte. „Eine irre Sache.“
    „Was ist irre?“
    „Na, was sich da zugetragen
hat. Es geht um einen Bankräuber und eine Frau mit Dackel in einem roten BMW.“
    „Hm. Und?“
    „Der Bankräuber wurde verfolgt.
Im Vorbeirennen hat er seine Tasche, die mindestens 80 000 Mark enthält, in den
Wagen der Frau geworfen. So habe ich das jedenfalls verstanden. Jetzt wird nach
der Frau gesucht. Sie ist nämlich weggefahren mit der Tasche. Möglicherweise
ahnungslos.“ Die Stille dehnte sich aus.
    „Heh, Beate!“ sagte Erwin.
„Bist du noch da?“
    Sie schnappte zum dritten Mal
nach Luft. „Eine... eine Tasche sagst du?“
    „Ja, voller Geld.“
    „Wo... wo hat sich

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