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Die Haie vom Lotus-Garten

Die Haie vom Lotus-Garten

Titel: Die Haie vom Lotus-Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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monatelang täglich wechseln konnte ohne Wiederholung: Ohrringe,
Ketten, Armbänder, Ringe.
    Hier in der Boraner Landstraße
hatte Erwin sein Büro. Es war gemütlich eingerichtet. Und der Modeschmuck lag
in einem Wandsafe, dessen Zahlenkombination außer Erwin nur Beate kannte. Damit
beide sich’s merken konnten, hatten sie als Eselsbrücke den Dackelnamen
gewählt. Allerdings nicht Küßchen, weil der Safe nur eine
Drei-Zahlen-Kombination hatte, sondern die herzhaftere Form: Kuß. Auch da gab
es Probleme, denn die Eselsbrücke wies das K als elften Buchstaben im Alphabet
aus, das U als 21. und ss als 19., und letzteren gleich doppelt. Eingeben
konnte man aber nur einstellige Zahlen. Doch das Pärchen behalf sich. Die
Entscheidung fiel auf die jeweils erste Ziffer: eins — zwei — eins. Das war der
Code — und leicht zu merken, auch dann, wenn man nicht an den Dackel dachte.
    Beate wohnte noch bei ihren
Eltern. Die mochten Erwin nicht, sondern hätten Beate lieber als Braut eines
Beamten gesehen — mit Pensionsanspruch. Also traf Beate ihren Freund meistens
hier im Büro, denn er — zwei Jahre jünger als das blonde Bonbon — hatte noch
keine eigene Wohnung, sondern hauste zur Untermiete bei einer strengen Wirtin —
für schlappe 250 Mark im Monat.
    Für heute abend waren die
beiden verabredet. Beate hatte Erwins Wagen benutzt für den Besuch bei der
Freundin, hatte dort zuviele Kekse gegessen, weshalb sie sich jetzt ärgerte,
und zuviel Tee getrunken. Sie mußte dringend zur Toilette.
    Beate parkte den Wagen vorm
Haus. Die lange Reihe der Parktaschen, reserviert für die Büromenschen von
Montag bis Freitag, war leer.
    „Er ist noch nicht da, Küßchen.
Was sagst du dazu?!“
    Der Dackel erwiderte nichts,
sondern zerrte am Henkelgriff der schweren Tasche.
    Sie lag hinter dem Fahrersitz,
also im toten Winkel des Innenspiegels. Beate war ahnungslos. Sie blickte auf
den achtstöckigen Bürokasten aus Glas und Stahl und Beton. Alle Fenster waren
dunkel, auch das Treppenhaus und die schmucklose Eingangshalle. Letzteres ein
deutliches Zeichen, daß sich Erwin verspätet hatte, denn in der Eingangshalle
ließ er das Licht immer brennen.
    Beate stieg aus. Sie öffnete
die hintere Tür nur einen Spalt, leinte Küßchen an und strich ihm beruhigend
übers Rauhaardackel-Fell.
    „Komm, Küßchen! Drin ist es
schön warm.“
    In diesem Moment sah sie die
Tasche.
    „Ach, Gott! Erwin läßt aber
auch alles liegen.“
    Sie nahm die Tasche heraus und
wunderte sich übers Gewicht. Außerdem kannte sie das Ding nicht, was aber
nichts hieß, denn Erwin schleppte seine Sachen mal in Rucksäcken, mal in
Beuteln, mal in Koffern, mal in großräumigen Taschen umher. Er war auch dauernd
mit irgendwelchen Transporten beschäftigt zwischen Untermieterzimmer und Büro.
    Beate setzte die Tasche ab,
hielt Küßchens Leine mit der anderen Hand, verschloß den Wagen, nahm wieder die
Tasche auf, schleppte schwer daran, mußte warten, weil der Dackel das Bein hob,
zerrte ihn dann zum Hauseingang, wo sie auf schloß.
    Licht in der Halle! Beate
atmete auf. Sie war sich bewußt, daß sie mutterseelenallein war in diesem
großen Gebäude. Irgendwie eine unheimliche Vorstellung. Konnte nicht in jedem
Büro jemand lauern? Jemand, der sich eingeschlichen hatte. Oder Einbrecher, die
gerade hofseitig durch ein geknacktes Fenster eingestiegen waren.
    Beate fröstelte. Aber dann
nannte sie sich eine blöde Gans und wollte durch den Flur nach hinten gehen,
denn Erwins Büro lag hofseitig und im Erdgeschoß.
    In diesem Moment hörte sie den
Wagen und drehte sich instinktiv um, geleitet von der unsinnigen Idee, es
könnte Erwin sein. Aber der kam ja zu Fuß, wohnte nämlich nicht weit von hier.
Außerdem hatte sie seinen Wagen.
    Durch die gläserne Eingangstür
sah Beate das Fahrzeug, einen dunklen Kleinwagen mit etwas Schnee auf dem Dach.
Ein Mann saß drin, hatte den Kopf zur Seite gedreht und blickte her. Der Wagen
fuhr langsam. Der Auspuff schepperte etwas, als hätte sich eine
Haltevorrichtung gelöst, und Metall trommelte nun auf Metall.
    Dann war der Wagen vorbei.
    Beate stand etwas schief da,
weil ihr die Tasche den Arm langzog. Indem sich die junge Frau nach der anderen
Seite hin verbog, schaffte sie Ausgleich.

    Küßchen wetzte schon zur
Bürotür, die Leine hinter sich schleifend. Immerhin war der Boden so
wochenendsauber, daß es dem Leder nicht schadete.
    An der Bürotür hing ein Schild: Erwin S. Polluk — Modeschmuck & Accessoires en

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