Die Haie vom Lotus-Garten
Verfolgte,
dann sicher sein, daß er sie unbehelligt ließ? Außerdem war es jetzt zu spät
dazu. Immerhin war sie ihm entkommen bis hierher. Sicherlich schäumte er vor
Wut.
Beate hatte sich den Fuß
vertreten. Der Knöchel schmerzte. Verstaucht? Er fühlte sich an, als sei er
geschwollen, Beate wußte nicht, ob sie die Flucht fortsetzen konnte. Sie
zitterte vor Angst. Und ihre Selbstgespräche, die sie sonst immer klar
formulierte, waren jetzt nur ein Gestammel.
O Gott! jammerte sie unhörbar,
nämlich innerlich. Dort... dort kommt er. Nein, sehe ihn nicht, aber... aber
seine Schritte. Wie im Flur. Wie vor der Bürotür. So hart... so zielstrebig.
Der... Was soll ich nur... Tun kann ich gar nichts. Ruhig, Küßchen! O Gott,
diese Schritte!
Er war da, ganz in der Nähe. Er
suchte. Er trat gegen Blech. Es dröhnte. Dann fauchte der Wind um die Ecke.
Jenseits der Häuser war die Straße, aber kein Wagen fuhr vorbei. Keine Stimme
ertönte. Einsam war’s hier wie am Ende der Welt.
Der Verfolger kam näher. Nur
noch ein Dutzend Schritte war er entfernt. Gegen den Himmel, der heller war als
die Umgebung, hob sich seine Silhouette ab. Ein grober Kerl. Trug er einen
Bart? Oder was hing da fransig um seinen Mund.
Beates Herz klopfte hinauf bis
in den Hals.
Noch einen Schritt näher kam
der Mann, und der Dackel bewegte sich in ihren Armen. Würde er ruhig bleiben,
wenn sich der Verfolger weiter näherte?
Beate hielt den Atem an.
Küßchen grunzte. Aber das wurde übertönt von dem Windstoß, der jetzt in die
Büsche dort fuhr und Schnee herabrieseln ließ.
Der Verfolger wandte sich ab.
Er ging in die Dunkelheit hinein, hinter der Beate ein freies Gelände spürte:
unbebaute Grundstücke hier am Ende der Boraner Landstraße.
Die Frau wartete. Minuten
vergingen. Dann richtete sie sich auf. Küßchen wurde auf den Boden gesetzt. Sie
nahm die Leine in die linke, die Tasche in die rechte Hand. Vorsichtig
auftreten! Aber es ging besser, als sie erwartet hatte. Mit nur leichtem
Humpeln bewegte sie sich an den Rückseiten mehrerer Garagen entlang bis zu dem
Weg, der zwei Grundstücke trennte und nicht befahrbar war, nämlich zu schmal.
Vorn lag die Straße. Etwas
entfernt stand eine Laterne. Beate humpelte weiter. Im Schatten einer Hecke
blieb sie stehen. Den Schatten warf die Hecke ins Licht der Laterne.
Ein Wagen näherte sich.
Er fuhr langsam. Schrittempo.
War das der Verfolger, der noch immer nach ihr suchte? Nein, die Richtung
stimmte nicht. Der Kerl war dorthin gesockt, und der Wagen kam von da. Ein
Kastenwagen, der jetzt ins Blickfeld rollte. Und Beate erkannte ihn.
Ist das nicht, murmelte sie
innerlich, die alte Nuckelpinne von Gotti und Michi. Klar ist sie das. Himmel,
die beiden! In Liebe verbunden, aber armselig wie das letzte Hemd. Doch jetzt
schickt sie der Himmel.
Trotzdem wartete Beate noch im
Schatten der Hecke, irgendwie gewarnt von einer inneren Stimme, beziehungsweise
von vibrierenden Nerven.
Der Kastenwagen hielt. Und zwar
drüben auf der anderen Seite der Straße.
Michaela von Kante, genannt
Michi, saß am Lenkrad. Der Motor stöhnte als hätte er Leibschmerzen. Schwaden,
vermutlich bleihaltig wie eine Salve aus Vorderladern, verließen den rostigen
Auspuff. Wo war Traugott Brigg, genannt Gotti?
Ja, gibt’s denn das, flüsterte
Beate innerlich, daß der seine Michi allein läßt? Nein, nie! Wo...
Ihr Selbstgespräch endete, denn
sie hörte keuchenden Atem. Er kam von hinten aus dem Weg, und Beate erschrak
heftig, befürchtete natürlich, es wäre der Verfolger.
Sie riß Küßchen auf den Arm und
preßte sich in die Hecke, vom Schatten einigermaßen umhüllt.
Eine Gestalt rannte an ihr
vorbei und hätte sie beinahe gestreift. Doch bemerkt wurde sie nicht.
Es war nicht der Verfolger,
sondern Gottis eher schmächtige Gestalt. Atemlos rannte der Student über die
Straße und blieb neben dem Fahrerfenster stehen.
Michi hatte es aufgekurbelt.
Beate kannte Michaela seit
Jahren. Sie und ihre Mutter, die pflegebedürftig war infolge von Krankheit,
wohnten im Nachbarhaus. Etwas später hatte Beate auch Michis Freund
kennengelernt, den sie mochte, obwohl er etwas lasch war, jedenfalls nicht so
tüchtig wie Erwin Polluk.
„...aus den Augen verloren“,
keuchte Gotti.
„Wen?“ fragte Michi durchs
Fenster.
„Beide.“
„Aber das ist doch unmöglich.“
„Nichts ist unmöglich. Merkst
du nicht, wie ich keuche. Ich habe mir die Lunge aus dem Halse gehetzt.“
„Hier auf der Straße habe
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