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Die Haie vom Lotus-Garten

Die Haie vom Lotus-Garten

Titel: Die Haie vom Lotus-Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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zog an der Leine. Tim
hielt ihn. Der Vierbeiner hechelte auf der Spur. Es ging über dunkles Gelände.
Schon der dritte Hinterhof war durchquert worden. Ein Baugelände schloß sich
an. Ein fünfstöckiger Rohbau ragte in den Nachthimmel. Der Wind pfiff durch
leere Fensterhöhlen und Türöffnungen. Plastikplanen, mit denen irgendwas
abgedeckt wurde, flatterten im Wind. Es klang, als werde getrommelt, und
irgendwo klopfte eine Planke gegen Stein oder Mauer.
    Gaby folgte dicht auf. Hinter
ihr keuchten Klößchen und Karl.
    „Er hat die Spur noch“, rief
Tim.
    „Hoffentlich folgt er Küßchen“,
meinte Klößchen, „und nicht einem gebratenen Hähnchen.“
    „Was ist“, sagte Gaby, „wenn
die Frau den Dackel freigelassen hat? Das wäre ja, daß wir jetzt ihm folgen und
nicht ihr.“
    „Glaube ich nicht“, meinte Tim.
„Beate Kottke gibt Küßchen nicht her. Und der bleibt bestimmt bei seinem
Frauchen.“
    In diesem Moment verharrte Oskar,
als wäre er gegen eine unsichtbare Wand geprallt. Dann beschnüffelte er etwas,
das vor ihnen auf dem Boden lag.
    Tim bückte sich. In der
Dunkelheit hielt er den Gegenstand zunächst für einen Ziegelstein, erkannte
dann aber: Es war die grüne Kassette.

    Seine Freunde staunten. Oskar
machte Männchen und schnupperte noch immer an dem Stahlgehäuse.
    „Hat Beate Kottke die Kassette
weggeworfen“, fragte sich Gaby, „oder verloren?“
    „Ich vermute, verloren.“ Tim
schob sie in seinen City-Rucksack, den er nun schon seit Stunden auf dem Rücken
trug.
    „Das bedeutet“, sagte Karl,
„sie hat die Tasche wirklich bei sich.“
    „Oder inzwischen auch
verloren“, meinte Klößchen. „Oder weggeworfen, weil man mit leichtem Gepäck
besser fliehen kann. Es gibt Typen, die leeren auf der Flucht sogar ihre
Hosentaschen. Begünstigt sind natürlich die Leichtgewichte. So wie Karl.
Gestandene Typen wie ich, bei denen die Waage ein paar Kilo mehr anzeigt,
sollten niemals fliehen. Es paßt nicht zur Statur. Unsereins bietet dem
Verfolger die Stirn.“
    „Oder den dicken Hintern“,
meinte Karl.
    „Bei mir liegt das Gewicht in
der Brust“, Klößchen atmete ein, hörbar und tief.
    Tim hatte Oskar beobachtet. Der
schnupperte jetzt in alle Richtungen, konnte sich aber für keine entscheiden.
    Schuld daran war der Unrat, der
hier den Boden bedeckte. Heute oder gestern hatte jemand die Baustelle als
wilde Müllkippe benutzt — in unverantwortlicher Weise. Es roch penetrant nach
chemischen Abfällen. Der Lichtstrahl einer Windpeitsche stahl sich neonhell
durch den Rohbau, vermutlich geschaukelt vom Wind, und traf für ein oder zwei
Sekunden den Boden. Tim sah, wie Glassplitter glitzerten. Scherben und
aufgeschnittene Blechdosen lagen herum.
    „Oskar hat die Spur verloren“,
stellte Tim fest. „Außerdem würde er sich die Pfoten verletzen, wenn wir hier
weitergehen.“
    „Heißt das, wir geben auf?“
fragte Gaby.
    „Leider bleibt uns nichts
anderes übrig. Wir können ja vorn an der Straße noch ein Stück in der Richtung
suchen. Aber ich glaube nicht, daß es was bringt.“
    Durch den Rohbau und über
ausgelegte Planken fanden sie den Weg zur Straße. An der Ecke war eine
Telefonzelle. Tim hatte die Rufnummer von Beate Kottkes Eltern noch im Kopf.
Aber auch jetzt nahm dort niemand ab.

12. Beate entkommt
     
    Beate kauerte in einer Ecke,
die schwärzer war als die Nacht. Der Rücken lehnte an einer rauhen Mauer. Es
war die Rückseite einer Garage. Links, im rechten Winkel dazu, schloß sich eine
andere Mauer an — ebenfalls die Rückseite einer Garage. Die beiden Einfamilienhäuser
vorn waren dunkel. Niemand war zu Hause. Oder man schlief bereits.
    Beate hielt Küßchen im Arm.
Eine Hand lag auf seiner Schnauze. Sei ruhig! hieß das. Nicht bellen, nicht
knurren, nicht fiepen! Und der Dackel gehorchte.
    Die Tasche stand neben Beate,
berührte ihre Hüfte. Der Reißverschluß hatte sich etwas geöffnet. Die Frau
wußte, daß sie die Kassette verloren hatte, hatte es bemerkt, hatte das
stählerne Poltern beim Aufschlag auf den Boden gehört, hatte aber nicht die
Nerven gehabt und die Zeit, das Verlorene aufzulesen.
    Sie war geflohen vor diesem
Kerl. Er war ihr dicht auf den Fersen gewesen — die ganze Zeit. Zweimal hatte
sie seinen Schattenriß vor hellerem Hintergrund ausgemacht. Grauenvoll!
    Der Kerl wollte die Tasche, das
Geld. Und Beate fragte sich, woher sie den Mut nahm, es ihm zu verweigern. Am
liebsten hätte sie ihm die Tasche zugeworfen. Aber konnte sie, die

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