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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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trotz seiner Masse eine potentielle Beweglichkeit, für den Fall, daß es mal auf Beweglichkeit ankommen sollte. Nun, dieser Mann erinnerte Lilli an einen der mehrfachen Helden der Sowjetunion, an Leonid Iljitsch Breschnew. Das sagte sie jetzt auch: »Der sieht aus wie Breschnew in den sechziger Jahren.«
    Tyrell stimmte ihr zu. Und riet: »Dann würde ich ihn auch so nennen: Breschnew.«
    Â»Machen wir«, versprach Lilli, nahm die Puppe vom Tisch, steckte sie in ihre Tasche und sagte: »Eine letzte Frage noch: Warum sind immer Wasserflaschen in den Puppen?«
    Â»Die sind nicht von mir«, erklärte Tyrell. »Aber es gehört dazu. Es ist ein Todesritual, die Puppe zu füllen: mit Blüten, mit Gräsern, mit getrockneten Pilzen, mit Wasser.«
    Â»Zu welchem Zweck?«
    Â»Der Zweck des Rituals ist immer der der Besänftigung. Etwas oder jemand milde zu stimmen.«
    Â»Konkreter geht es nicht?«
    Â»Wäre es konkreter, wäre es kein Ritual«, meinte Tyrell und bat nun darum, in Ruhe gelassen zu werden. Er habe zu tun.
    So verließen Lilli und Yamamoto also nicht nur mit drei Photographien des Verdächtigen den Laden des Puppenmachers, sondern auch mit einem Namen. Denn selbst wenn dieser Name – Breschnew! – nur eine vorläufige Krücke bildete, so waren Krücken immerhin geeignet, einen bestimmten Weg zu gehen, ein Ziel zu erreichen, das man ohne diese Krücke vielleicht nicht erreicht hätte. Das nächste Ziel freilich war Lillis Hotel. Yamamoto wies den Weg.
    Eine Frage lag in der Luft. Yamamoto stellte sie: »Wie konnten Sie wissen, daß der Täter die Leichen gewaschen hat? Und zwar mit dem gleichen Wasser, mit dem er sie ertränkt hat. Davon hatte ich nichts erwähnt.«
    Â»Ich habe die Berichte gelesen«, log Lilli.
    Â»Welche Berichte?«
    Â»Die man mir gab, bevor ich hierherkam. Oder was denken Sie denn? Daß ich unvorbereitet in den Ring steige?«
    Der Ringvergleich irritierte Yamamoto zusätzlich. Ohnedies verwirrten ihn die Déjà-vus, die ständig durch seinen Kopf schwirrten und einen eigenen kleinen Saturnring um sein Hirn bildeten. Er fragte: »Und was sollte das mit der Puppe? Woher haben Sie das Ding? Woher wußten Sie von den Wasserflaschen, von der Existenz eines Puppenmachers … woher?«
    Â»Ich bin nicht Ihr Gegner«, sagte Lilli.
    Â»Das war nicht meine Frage«, erinnerte Yamamoto.
    Â»Es ist aber genau die Antwort, die ich Ihnen jetzt geben kann«, wich Lilli aus, präsentierte dieses Ausweichen aber mit solcher Selbstsicherheit, daß es Yamamoto war, der nun ausweichen mußte. Er sagte: »Ich glaube, heute abend gehe ich auch mal früher schlafen.«
    Â»Sie werden es nicht bereuen«, antwortete Lilli und lächelte ihn an. Immerhin wußte er nun, was genau er zu dieser Frau sagen mußte, um von ihr angelächelt zu werden.

19
    Als Lilli erwachte, da meinte sie, etwas mit ihren Augen stimme nicht. Was ja schon mal vorkam, daß es nötig war, sich die Augen zu reiben und dabei nicht nur den Schlafsand zu entfernen, sondern auch die kleinen Splitter und Scherben eines vergangenen Traums aus den Lidern zu schütteln. Genau das unternahm sie. Sie schüttelte. Doch dies änderte nichts am Anblick des engen Hotelzimmers, in dem sie sich befand. Obzwar sämtliche Objekte dort standen, wo sie auch am Abend zuvor gestanden hatten, war eine Veränderung eingetreten. Um es klar zu sagen: Den Dingen fehlte die Farbe. Nicht bloß den Dingen, denn als Lilli nun an sich heruntersah, mußte sie feststellen, daß ihre eigene Erscheinung sich ebenfalls allein aus Schwarz und Weiß und den dazwischen liegenden diversen Grauabstufungen zusammensetzte.
    Sie stieg aus dem Bett, ging ins Badezimmer, betrachtete sich im Spiegel. Himmel Herrgott, was war das bloß?! Die reflektierte Umgebung sowie auch sie selbst verblieben in jener radikalen Farbfreiheit. Und auch ein Blick aus dem kleinen Fenster nach unten auf die Straße bestätigte das verstörende Bild. Die Neonschrift, die am Abend zuvor die ganze Häuserfront in ein Scharlachrot gehüllt hatte, erstrahlte nun in einem hellen, silbrigen Grau.
    Â»Na super«, sagte sie sich, »jetzt stecke ich auch noch in einem Schwarzweißfilm fest.«
    Genau diesen Satz äußerte sie, als sie in der vergleichsweise großzügig dimensionierten Hotellounge auf den wartenden

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