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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Peiniger geben, falls sich dieser noch in der Wohnung befand, was für Lilli nahelag. Wäre Jola sonst noch am Leben gewesen? Entweder hatte sich Breschnew für einen kurzen Moment in einen anderen Raum begeben, oder aber er hielt sich verborgen, da er die Eintretenden wahrgenommen hatte und in Deckung gegangen war.
    Jola streckte ihren Kopf langsam rückwärts, dorthin deutend, wo ein Rolladenschrank stand und einen toten Winkel bildete. Einen toten Winkel von der Größe, die geeignet war, einen Mann aufzunehmen. Lilli gab Yamamoto ein Zeichen. Er nickte, näherte sich über die Wandseite, während Lilli vorsichtig einen Bogen beschrieb, der zu einer langsamen Öffnung, einer Reanimation des toten Winkels führte.
    Als erstes erkannte sie den Schatten des Mannes, der Breschnew sein mußte, nicht den ganzen Schatten, nur ein Stück Schulter, einen Schulterschatten, der aus dem Schatten des Schranks herausragte. In dieser Position war Lilli zudem dicht an die gefesselte Frau gelangt, in deren Augen sehend, auf die verlaufende Tusche, die aus den Pupillen quoll. Die Tränen waren vom Wasser, das aus den Haaren tropfte, nicht zu unterscheiden. Selten noch war Lilli – die schon einiges hatte schauen müssen – ein solch eindringliches Bild der gequälten Kreatur untergekommen. Ganz ohne Blut, ohne Schnittwunden, ohne Verbrennungen. Der Blick selbst war die Wunde: pure, reine Verzweiflung. Dabei hätte ja eigentlich ein Hoffnungsschimmer diese Verzweiflung abschwächen müssen. Davon aber war nichts zu erkennen. Lilli versuchte mittels einer puren Lippenbewegung den einen bekannten Satz in die Luft zu schreiben: Es wird alles gut! Dabei wußte sie doch selbst ganz gut, daß nie und nimmer alles gut werden würde. Daß, wenn Menschen einmal einen ersten Tod gestorben waren – und genau dies war soeben mit Jola Fox geschehen –, ihnen für den Rest ihres Lebens ein Pfeil in der Brust steckte.
    Während Lilli da bemüht war, lippensprachlich ein Versprechen zu geben, welches sich nicht halten ließ, löste sich Breschnew aus dem Schatten. Lilli sah dies erst in dem Moment, als sie bereits den Lauf der Waffe wahrnahm, der in ihre und Jolas Richtung wies und aus dem sich nun ein Schuß löste. Eine Kugel kam geflogen. Eine schwarzweiße Kugel, die herzlos in den Hinterkopf der Polin eindrang. Augenblicklich kippte die Gefesselte nach vorn und wäre mit ihrem Kopf im Wassereimer gelandet, hätte Lilli sie nicht aufgefangen.
    Ein zweiter Schuß folgte, ein Schuß, der für Lilli gedacht war, doch im selben Augenblick hatte Yamamoto jenen Schritt getan, der es ihm erlaubte – nun ebenfalls ein Ziel anvisierend –, den Abzug zu drücken. Das Betäubungsprojektil aus seiner Beretta drang in Breschnews Schulter, gerade als dieser zum zweiten Mal feuerte. Die Kugel, die Lilli hätte treffen sollen, beschrieb eine leere Bahn, nichts und niemanden treffend, ganz in der Art einsamer Raumsonden, wäre da nicht am Ende des Universums eine Wand gewesen, die die Kugel in ihr dichtes Mauerwerk aufgenommen hätte.
    Während nun die Substanz aus Yamamotos Pfeilmunition zu wirken begann, stolperte Breschnew durch den Raum. Jetzt schoß auch Lilli. Der Betäubungspfeil landete in Breschnews Brust. Und auch noch ein dritter Pfeil, den Yamamoto im Rücken des Flüchtenden unterbrachte. Eigentlich hätte Breschnew augenblicklich zusammenbrechen müssen, doch er besaß noch immer die Kraft, den Raum zu queren und sogar einen vierten Pfeil aufzunehmen. Mit einem Schrei, seine Unterarme als ein X vor sich her haltend, stürzte er sich durch das einzige Fenster des Raums. Er brach durch die Scheibe und flog die fünf Stockwerke nach unten, direkt zwischen die spielenden Kinder. Und es war ganz sicher das größte Glück in dieser Geschichte, daß Breschnew keines von ihnen erwischte, sondern flach mit dem Rücken auf dem Beton aufschlug. Flaaatsch! Man konnte bis oben hin hören, wie die Knochen brachen. Die Knochen bewegten sich noch ein wenig, dann war Stille. Breschnew rührte sich nicht mehr. Wobei allein die Betäubungsmittel ausgereicht hätten, seine Bewegungsunfähigkeit zu garantieren. Aber der Mann war tot. Die Jungen und Mädchen riefen genau dies nach oben, als seien sie alle Mitarbeiter des Polizeiarztes, der noch anderswo zu tun hatte.
    Auch Jola Fox atmete nicht mehr.

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