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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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dem ein nach oben gestreckter Daumen abgebildet war, irgendeine 1-a-Qualität symbolisierend. An dieser Stelle freilich diente der Aufkleber allein dazu, den Briefschlitz zu versperren. Dies alles – das blätternde Stiegenhaus, die Tür aus Holzimitat, der Supermarktaufkleber – hätte bei Farbe betrachtet nur deprimierend gewirkt, nicht aber in dieser von schweren Schatten durchschnittenen kaltgrauen Szenerie, wo auch das Billige geheimnisvoll anmutete. Als sei der Aufkleber noch vom frühen Louis Malle an diese Stelle gesetzt worden. Film noir. Das fand auch Lilli. Sie erklärte flüsternd: »Fehlt nur noch die Musik.«
    Â»Was für eine Musik?« flüsterte Yamamoto zurück.
    Â»Miles Davis.«
    Â»Ach ja«, meinte Yamamoto und drückte Lilli eine seiner beiden umgebauten Berettas in die Hand. Dann meinte er: »Wollen wir klopfen?«
    Â»Nein. Und noch etwas: Diesmal schießen wir sofort.«
    Â»Diesmal?«
    Â»Ich meinte … also, wenn Sie Breschnew sehen, pusten Sie ihn einfach um. Tötet ihn ja nicht.«
    Yamamoto wollte zu bedenken geben, daß auch für Toad’s Breader Polizisten Regeln existierten. Der Einsatz von Betäubungspatronen bedeutete nicht, selbige nach Lust und Laune und ohne Vorwarnung einsetzen zu dürfen. Andererseits schien dies nicht der geeignete Moment für eine Diskussion. Lilli Steinbeck wirkte viel zu bestimmt. Keine Frage, daß sie mehr wußte, als sie zugab. Siehe Puppen. Siehe Puppenmacher. Auch im Flüstern tönte ihre Stimme fest, als sie jetzt Yamamoto aufforderte, die von einem hochgestreckten Daumen markierte Tür zu öffnen.
    Der Samurai holte ein Stück Draht aus seiner Tasche und machte sich am Schloß zu schaffen. Die Schlösser in dieser Stadt waren keine großen Gegner. Mit einem winzigen Geräusch, einem metallischen Stöhnen, sprang die Tür aus ihrem Verschlossensein. Es klang so, als spreche die Tür: »Mein Gott, wenn du bitte gesagt hättest, wäre ich auch von allein aufgegangen.« Und in der Tat würden die Menschen staunen, wenn sie wüßten, wie viele Dinge sich durch pure Höflichkeit öffnen ließen.
    Vorsichtig drückte Yamamoto gegen die Fläche und weitete den schwarzen Spalt zu einer schwarzen Öffnung.
    Mit den Waffen im Anschlag drangen die beiden Polizisten in das Innere. Es war nichts zu erkennen außer einer dünnen, leuchtenden Linie, die die untere Kante einer weiteren Tür bildete, hinter der sich ein erhellter Raum befinden mußte.
    Â»Auf mein Kommando«, flüsterte Yamamoto und gab dieses Kommando nun ausnahmsweise in japanischer Sprache an, wahrscheinlich so etwas wie »Eins, zwei, drei!« oder »Achtung, fertig, los!«. (In Wirklichkeit sprach der des Judo mächtige Yamamoto eine Kampfwertung aus: »Waza-ari awasete Ippon«, was bedeutete, daß zwei halbe Punkte einen ganzen Punkt, nämlich einen Ippon, ergaben.) Lilli konnte dies nicht übersetzen, erkannte aber die im dritten Wort enthaltene ultimative Steigerung und setzte sich nun mit der gleichen Plötzlichkeit wie ihr Partner in Bewegung. Zusammen einen »ganzen Punkt« bildend, stießen sie die Türe auf, blieben aber beide nahe dem Türrahmen stehen. Sie schwenkten ihre Waffen in einer halbkreisförmigen, voneinander wegführenden Drehung, wie um den Raum zu scannen. Was sie sahen, war das Folgende: In der Mitte des Zimmers stand ein Tisch, darauf ein Metalleimer, darüber gebeugt eine nackte Frau, die an Händen und Füßen gefesselt war und deren Haut und Haare von Feuchtigkeit glänzten. Die Frau drehte den Kopf und sah zu Lilli und Yamamoto herüber. Ihr Gesicht war ein weißes Tuch, auf dem die Augen, der Mund und die Nase wie verwaschene Tinte anmuteten. Ein kleines Geräusch, ein Wimmern, entließ den Tintenmund. Schwer zu sagen, ob die Frau, bei der es sich um Jola Fox handeln mußte, überhaupt noch in der Lage gewesen wäre, mehr als dieses Wimmern von sich zu geben. Sie zitterte, der ganze Boden schien mitzuzittern. Lilli jedenfalls blickte mit signalhaft geweiteten Augen hinüber zu der Gefesselten und legte sich dabei den Zeigefinger auf die Lippen, um Jola anzuweisen, nichts zu sagen. Dann aber ließ Lilli denselben Finger durch die Luft pendeln, mit einem fragenden Gesicht in verschiedene Richtungen weisend. Jola verstand. Sie sollte einen stummen Hinweis auf ihren

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