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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Wolken von diesen Dörfern und kleinen Städten geradezu verschluckt wird, wie auch die Ortschaften selbst verschluckt scheinen. Dabei ist es dort wirklich schön, am Fuße der Schwäbischen Alb, die ganz sicher mehr Menschen in den Wahnsinn getrieben hat als die dramatische Bergwelt der Alpen, in die die Leute sich bereits verrückt hineinbegeben und dann die Alpen verantwortlich machen.
    Irgendwie zählt Giesentweis zu der eine Stunde entfernt gelegenen Landeshauptstadt Stuttgart, aber das kann man sich nicht vorstellen, wenn man an einem sonnenhellen Tag auf diesen Ort hinuntersieht, auf die beiden massiven weißen Türme der Stiftskirche, die engstehenden hellen Fachwerkbauten, den übers Tal hingestreckten Siedlungskörper, der an einen gefällten Stamm erinnert, welcher genau dort hingestürzt ist, wo er hinstürzen sollte (während ja viele Ortschaften im Zuge ihrer Verbauung an Waldarbeiterunglücke gemahnen). Nein, angesichts dieser kleinen Stadt konnte man an den Ausspruch denken, mit dem manche Hundebesitzer auf die Frage, wem denn dieser süße Hund hier gehöre, gerne antworten: Der gehört sich selbst. – Ja, Giesentweis gehörte sich selbst, und daß es Teil eines Regierungsbezirkes war … nun, der Mensch ist Teil der Evolution, und Island ist Teil von Europa, aber was heißt das schon?
    Als Lilli und Ivo von Rom aufbrachen, taten sie das bei bestem Wetter. Mitte März. Der Frühling grüßte. Er grüßte Rom, nicht aber Giesentweis. Das ganze Tal, der ganze Albabschnitt lagen unter einer dichten Schneedecke begraben. Die Dinge und Gebäude erinnerten an diese Frauen in übergroßen Pelzmänteln, die man gar nicht mehr erkennen kann, wo selbst die Magersüchtigen wie Wesen aus vielerlei Fettschichten anmuten.
    Es schneite unaufhörlich, so stark, daß man nur schwer mit dem Wagen vorwärts kam. Lillis und Ivos erster Blick auf diese magische Gegend bestand somit darin, die Gegend nicht zu sehen. Beziehungsweise allein in einem locker hingesetzten Tarnkleid, das in Summe höchst massiv zu nennen war.
    Â»Ich hab noch nie soviel Schnee erlebt«, sagte Ivo.
    Â»Schön, nicht wahr?« meinte Lilli und lenkte den Wagen mit jener Übersicht, zu der in der Tat nur Frauen in der Lage sind. Das ist eine hormonelle Frage. Männer in Autos erliegen biochemischen Desastern, für die sie nichts können. Sie können allerdings sehr wohl etwas dafür, sich trotz allem hinter ein Steuerrad zu setzen. Wenn es stimmt, daß Männer besser beim Parken sind, dann nur darum, weil die Autos so froh sind, daß der Mißbrauch ihres Körpers zu Ende geht. Beim Fahren wehrt sich das Auto, beim Parken nicht.
    Jedenfalls erreichten Lilli und Ivo die Zweitausend-Seelen-Gemeinde, ohne auch nur einmal in eine haarige Situation geraten zu sein, während an diesem Tag so einige Leute die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren.
    Â 
    Der Notar, der die beiden in seinem Büro empfing, machte einen letzten Versuch, Lilli zu einem Verkauf des Objekts zu überreden. Es gebe mehrere Interessenten, die durchaus bereit seien, einen Preis anzubieten, der den eigentlichen Wert überschreite. Weit überschreite.
    Â»Wieso eigentlich?« fragte Lilli. »Ist dort ein Schatz vergraben?«
    Der Notar lächelte verzweifelt. Er schien sich nicht sicher zu sein, ob diese Frage ernst gemeint war oder als Scherz zu verstehen, und verharrte darum eine ganze Weile in seinem Lächeln. Es gehörte absolut nicht zu seinen Pflichten, Lilli zu überreden. Allerdings gab es Leute in der Stadt, und nicht wenige, die es gerne gesehen hätten, wäre ihm dies gelungen. Doch bereits während der Telephonate nach Rom war ihm bewußt geworden, es zwar mit einer jungen, aber überaus selbstbewußten Person zu tun zu haben, die man nicht beeindrucken konnte, wenn sie nicht beeindruckt werden wollte. Gleich, ob er den lieben Onkel oder den strengen Bürokraten spielte. Lilli verstand das eine wie das andere gut auszuhalten.
    Im Angesicht dieser schönen, jungen, aus dem Albschnee märchenhaft aufgetauchten Österreicherin, die den Namen Steinbeck trug, erkannte der Notar die Unmöglichkeit dieses Ansinnens. Es brauchte ihn auch gar nicht zu wundern, wenn er an die Frau dachte, die vor zwanzig Jahren zusammen mit ihrem Mann an diesen Ort gezogen war und die ihr Haus an ebendiese junge, rothaarige

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