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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Verwandte vermacht hatte.
    Rothaarig? Kann man das so sagen? Sicher nicht Feuerrot, auch nicht Henna, überhaupt nichts Gefärbtes. Kein starkes Rot, kein rostiges. Ein helles Rot. Ein Wangenrot. Nur eine Spur stärker als das Rot, das tatsächlich die Wangen Lillis hin und wieder bedeckte und bei dem es sich dann freilich um aufgetragenes Rouge handelte.
    Auch Marlies war rothaarig gewesen. Der Notar dachte gerne an sie. Er hatte ihre resolute Art gemocht, die aber nicht dumpf gewesen war, nicht einfältig, auch frei von jener allseits verbreiteten Schläue, die einen Fußbreit von der Rücksichtslosigkeit liegt (und es ist wirklich egal, ob diese Schläue von den Bauern kommt oder von Leuten, die Maier heißen). Ihm selbst war diese verschlagene und hinterhältige Wesensart in all den Jahren zuwider geworden. Die ganze hiesige Kultur schien daran zugrunde zu gehen. Die Schläue der einen hakte sich in die Schläue der anderen ein, und gleich, ob daraus eine Vermählung oder ein Krieg hervorging, die Menschen verloren ihr Gesicht, und zurück blieb eine Fratze. – Er hatte ganz sicher den falschen Beruf gewählt. Wobei ihm seine Arbeit grundsätzlich gefiel, der Umgang mit Dokumenten und Urkunden, die Akkuratesse, mit der er die abgegebenen Willenserklärungen verwaltete und im Falle rechtlicher Schwierigkeiten nach Lösungen suchte. Das Problem dabei waren die Menschen, die da ihren Willen vorbrachten und ihn beglaubigen ließen und die diesen Willen nicht selten zum Nachteil eines bestimmten Menschen oder einer ganzen Gruppe entwickelten. Das war der springende Punkt: Daß es so gut wie nie um die Nutznießer eines Testaments ging, sondern fast ausschließlich um die dadurch Geschädigten: die Enterbten, die Zurückgestuften und die absichtsvoll Übersehenen. Es handelte sich so selten um ein Für und so häufig um ein Gegen . Mehr als jeder Seelsorger und jeder Therapeut war er, der württembergische Bezirksnotar, Anlaufstelle für die in ihrer Wut und ihrer Bosheit oder wenigstens in ihrem Gekränktsein gefangenen Menschen. Wie oft hatte er versucht, eine Partei dazu zu bewegen, das Sinnvolle zu tun, das Friedenstiftende, das gerade im Angesicht des einst oder sogar demnächst eintretenden Todes Versöhnliche. Natürlich war ihm mehr als jedem anderen aufgetragen, den Willen seiner »Klienten« zu respektieren, andererseits kannte er die Leute, die ihn konsultierten, viel zu gut, war viel zu sehr mit ihren Verhältnissen vertraut, als daß er nicht das jeweilige Unglück erahnte, das sie mit ihrem letzten Willen, ihren Eheverträgen, ihren Grundstücksübertragungen, vor allem mit der Neugestaltung ihrer bisherigen Erklärungen verursachen konnten und natürlich verursachen wollten. Aber er, der Notar, sah ja keine glücklichen Unglücksverursacher, sondern traurige, verbohrte, vom Haß zerfressene Menschen. Und es war darum mehr als der bloße Ausdruck einer Konvention, daß er – obgleich als beamteter Notar eines Bezirksnotariats zur religiösen Neutralität verpflichtet – hinter sich, in seinem Besprechungszimmer, eine Christusfigur hängen hatte. Diese Figur sollte eine Mahnung darstellen, eine Erinnerung weniger an die Vergänglichkeit des Menschen als an dessen moralische Verantwortung.
    Es kam schon mal vor, daß der Notar, der zusätzlich als Richter in Sachen Grundbuch und Nachlaß und Vormundschaft fungierte, während eines Gesprächs seinen Kopf leicht nach hinten wendete, wie um den Sohn Gottes ins Spiel zu bringen. Leider mußte er die Erfahrung machen, daß die Leute Christus gerne übersahen, wenn er ihnen einmal außerhalb der Kirche über den Weg lief. Die meisten empfanden die Figur an der Rückwand als ein Ornament, beziehungsweise dachten sie, dies sei eben der Spleen des Herrn Notars, sich mit spirituellen Antiquitäten zu umgeben.
    Lilli hingegen würdigte augenblicklich die Grazie dieser Figur, die in keiner Weise an die bedauernswerten Kruzifixe in Amtsstuben erinnerte, welche so angestaubt und lieblos wirken und allein geschaffen scheinen, konservativen Eiferern das Lustgefühl der Überlegenheit zu bescheren. Nein, Lilli war bewußt, wie wenig dieser hölzerne, armlose, sehr kompakte, mit dem Rücken an die Wand geschraubte Christus nur zum Vergnügen an dieser Stelle hing. Oder bloß die christliche

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