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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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weniger tolerant als anderswo. Oder besser gesagt: In den großen Städten sind die Leute auch nicht toleranter. Aber wenn die Welt zu einem Punkt schrumpft – und Giesentweis ist ein Punkt –, dann wiegt alles ungleich stärker.«
    Â»Ein einzelner Punkt ist wenigstens übersichtlich«, erklärte Lilli, stets den Vorteil an einer Sache suchend.
    Ivo schwieg zu alldem. Er fühlte sich unbehaglich. Er dachte: »Und dabei haben wir noch nicht mal dieses Geisterhaus gesehen.«
    Nun, in der Tat war es an der Zeit, sich um das Gebäude zu kümmern. Oder dies wenigstens zu versuchen. Versuchen deshalb, weil sich das Kucharsche Anwesen etwas oberhalb der Stadt befand. Das letzte an einer kleinen Straße gelegene Grundstück. Der Notar, der übrigens den Namen Kowalsky trug, konnte nicht sicher sagen, ob dieser Weg bereits geräumt worden war. Er bot an, seinen Wagen zu nehmen, weil dieser geländetauglich sei.
    Doch es sollte sich herausstellen, wie wenig diese Geländetauglichkeit nützte, um den Schneehaufen zu überwinden, der sich vor der Abzweigung gebildet hatte. Wollte man nicht sagen, diese Barriere bedeute mehr als das reine Zufallsprodukt der offiziellen Schneeräumung.
    Â»Darf ich Ihnen vorschlagen«, meinte Dr. Kowalsky, »Sie für diese Nacht im Hotel unterzubringen, und morgen gehen wir dann die Sache in aller Ruhe an? Es ist spät und wird bald dunkel.«
    Â»Noch dunkler?« fragte Ivo, dem schon jetzt alles und jeder auf die Nerven ging.
    Â»Nun, wir haben bei uns noch richtige Nächte«, bemerkte der Notar, »und wenn es zu schneien aufhört, kann man die Sterne sehen. Die Sterne gehören mit zum Schönsten in dieser Gegend. Was Sie hier also sicher nicht brauchen, ist ein Planetarium.«
    Ivo lachte verächtlich.
    Lilli aber sagte: »Ich freue mich auf die Sterne.«
    Â 
    Es muß nun gesagt sein, daß Ivos ablehnende Haltung, sein gewisses Angefressensein gegenüber der Provinz, in die es ihn verschlagen hatte, nichts an dem Glück änderte, das er empfand. Das Glück, mit dieser Frau zusammenzusein, sie in den Armen halten zu dürfen, den Kopf auf den Bauch gelegt, in dem das Leben keimte, auch wenn es noch zu früh war, etwas zu spüren. Nicht, daß Ivo sich unbedingt darauf freute, Vater zu werden. Die Vaterschaft schien ihm so suspekt wie die im Schnee spukartig versinkende Stadt. Erst recht das Haus, in das man ungesehen ziehen wollte und das sich vorerst mal dem Zugriff entzog. Er, Ivo, hatte die letzten weißen Flecken auf der Landkarte erobern wollen und war nun an einem weißen Flecken ganz anderer Art gelandet. Doch an der Seite von Lilli besaß alles einen Zauber. Lieber mit ihr im finsterweißen Giesentweis als ohne sie im Dschungel von sowieso.
    Der Notar brachte die beiden in ein sauberes kleines Hotel und versprach für den nächsten Tag eine freie Auffahrt zum Haus.
    Â»Und wenn es durchschneit?« fragte Ivo.
    Aber Lilli meinte, man könne auch gerne ein paar Tage im Hotel zubringen. Die Macht des Winters sei zu akzeptieren. Sie dankte dem Notar für seine Bemühungen und entließ ihn mit einer jovialen Geste, so als sei sie hier die Königin. Die Königin von Giesentweis. Genau das dachte der Notar. Er dachte, Lilli sei hergekommen, um die Rolle ihrer Großtante zweiten Grades zu übernehmen.
    Genau darin hatte das Problem für die Leute dieser Stadt bestanden, in den letzten zwanzig Jahren auf eine mysteriöse Weise von einer Ortsfremden regiert worden zu sein. Nicht auf die banal bürokratische, von Seilschaften und Bekanntschaften geprägte eines Gemeinderates und einer Stadtverwaltung und eines Bürgermeisters und einer in der Ferne kaum erkennbaren Landeshauptstadt, sondern im Stile jener Weissagungen, die sich zwangsläufig dadurch erfüllen, daß man ihnen auszuweichen versucht. Marlies Kuchar hatte es geschafft, die wichtigste und mächtigste Person in dieser Stadt zu werden, auf eine Weise gefürchtet wie Schnee, der vom Himmel fällt und der ja hübsch anzusehen ist, während er die Dinge unter einer Decke begräbt, den Verkehr zum Erliegen bringt, die Geräusche dämpft, das Leben dämpft, die Schönheit mit der Katastrophe vereint, den Himmel mit der Erde, die Poesie mit der Lawine …
    Verehrt und gefürchtet.
    Nicht, daß es Lilli bewußt war, wie sehr ihre Ankunft der Ankunft

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