Die Haischwimmerin
einer Thronfolgerin glich. Dennoch hatte sie aus der Schilderung des Notars herausgehört, ihr würde dank ihres Stammbaums ein gewisser Ruf vorauseilen. Indem sie ihr Erbe antrat, trat sie ihr Erbe an.
Und als wäre sie nun allen Ernstes die Meisterin des Schnees, hörte es mit Einbruch der Dunkelheit zu schneien auf, schoben sich die Wolken zur Seite und offenbarten einen klaren, funkelnden Nachthimmel.
Ivo und Lilli standen auf dem Balkon ihres Hotelzimmers, vereint unter einer Wolldecke, und sahen hoch zum Firmament.
»Wir sollten uns langsam Gedanken machen, wie das Kind heiÃen soll«, meinte Lilli.
»Jetzt schon? Ich weià nicht«, sagte Ivo, »das hat doch noch Zeit, bis man weiÃ, was es wird.«
»Was denkst du denn, daà es wird? Eine Giraffe?« fragte Lilli und zeigte hinauf zu jenem Sternbild, das genau diesen Namen trug.
Ivo hatte weit weniger Ahnung vom figuralen Gespinst des Firmaments, verstand die Anspielung nicht. Er hielt es jedenfalls für überflüssig, einen Buben- und einen Mädchennamen auszuwählen, bevor noch das Geschlecht feststand. Zwei Namen für nur ein Kind. Aber er sagte: »Ich kann mal überlegen.«
»Vielleicht werden es ja Zwillinge«, äuÃerte Lilli im Angesicht des gleichnamigen Tierkreiszeichens. »Ich würde sagen: Pollux und Alhena. Roter Riese und weiÃer Zwerg.«
»Gottes willen, das muà ja nicht unbedingt sein«, stöhnte Ivo, zum ersten Mal eine solche Verdoppelung von Kind und Problemen bedenkend.
»Sei nicht so ängstlich«, meinte Lilli und lachte. Und sagte: »Komm!« â Wie man sagt: Die Kinder schlafen schon.
Sie gingen zurück in ihr Zimmer, verkrochen sich im Bett wie in einer geräumigen Muschelschale und machten sich ein paar Geschenke.
Nach der Bescherung vermeldete Lilli, sie verspüre Hunger, weshalb man sich zum Abendessen hinunter in die Gaststube begab. Es war Freitag abend und das Restaurant gut besucht.
Nicht, daà beim Eintreten Ivos und Lillis ein völliges Verstummen eingesetzt hätte. Man war hier nicht im Wilden Westen, auch verstanden sich diese Leute keinesfalls als BarfüÃige, die beim Anblick einer hellhäutigen Frau erschrocken wären. Allerdings wuÃte oder ahnte ein jeder, daà es sich um die Erbin des Kucharschen Hauses handelte, in welchem die Tochter des ehemaligen Bürgermeisters ein gesundes Kind zur Welt gebracht hatte. Bestens betreut von Marlies Kuchar, die zu allem Ãberfluà auch noch über eine Ausbildung als Hebamme verfügt hatte. Immerhin war das eine Zeit gewesen, als Hausgeburten wieder in Mode gekommen waren. Wobei die famose Marlies bei aller magischen Wirkung niemals den Status einer Hexe oder Alchemistin besessen hatte. Dazu war sie viel zu damenhaft und modern aufgetreten. So hatte sie etwa, man höre und staune, einen Aston Martin gefahren. Es war folglich schwer gewesen, diese Frau in eine esoterische oder gar schamanistische Ecke zu stellen. Sie trug, während sie da ein Geburtsgeschehen professionell begleitete, ein Chanel-Kostüm. Eher hätte man ihr also vorwerfen können, für eine Hebamme viel zu mondän daherzukommen. Doch gegen das Mondäne ist kein Kraut gewachsen. An dieser Frau, an ihrer gepanzerten Erhabenheit, hatte sich das um ihre Tochter beraubte Bürgermeisterehepaar die Zähne ausgebissen.
Das war übrigens eine Verfahrensweise, welche Lilli auf ihre eigene Weise zitieren und fortführen würde, indem sie nämlich später, als aktive Polizistin, stets bestens gekleidet sein würde, so schwierig auch immer eine Situation sich darstellte. Sie würde immer tipptopp sein und sich niemals von den Widrigkeiten und Grausamkeiten ihrer Arbeit zu praktischer, aber häÃlicher Kleidung verleiten lassen. In einen Abwasserkanal zu steigen brauchte nicht zu heiÃen, wie ein Kanalräumer auszuschauen.
Â
Ivo und Lilli lieÃen sich von einer freundlichen Kellnerin an einen freien Platz führen. Aber diese Kellnerin war nicht aus Giesentweis, sondern eine saisonale Hilfskraft, ein Niemand. Sie hatte ein hübsches Gesicht und einen hübschen Körper von jener Art, die nicht lange hält. Nicht unter den Umständen, als Niemand im Gastronomiegewerbe zu dienen, einem Gewerbe, dessen kriminelle Energie bekanntermaÃen nur noch von der Bauwirtschaft und der Zuhälterei übertroffen wird.
»Ah, Frau Steinbeck, nicht
Weitere Kostenlose Bücher