Die Haischwimmerin
nicht noch mal versucht wurde, Galina zu überreden, sich zu beteiligen, so lagen dennoch die Blicke der Männer auf ihrem stark verpackten Körper. Es war dieser ungemeine Reiz einer in der Landschaft stehenden Frau, die gewissermaÃen ohne männlichen Schutz war. Denn weder Ivo noch Spirou wurden von den anderen als wahrhaftige Begleiter dieser Frau wahrgenommen. Eher als ein Witz: ein Kind und ein schmächtiger Mann ohne Waffe.
Ivo spürte die Bedrohung. Er spürte, daà diese Männer, die zu Hause bei ihren Familien, im Rahmen ihrer Berufe und sozialen Kontakte angesehene und unbescholtene Bürger sein mochten, welche die Regeln einer zivilisierten Gesellschaft hochhielten, hier drauÃen in der Wildnis sich in der eigenen Wildheit übten. Eben nicht nur einfach zur Jagd gingen, wie sie das ja auch zu Hause tun konnten, sondern sich ganz ihren Trieben überlieÃen, sich frei machten von den Konventionen, der Kleinlichkeit und Einschränkung, die sie als Bürger fesselten. Eine Befreiung, die weit darüber hinausging, einen Untergebenen zu demütigen oder mit Höchstgeschwindigkeit über die Autobahn zu preschen.
Richtig, das war geradezu ein Topos. Ivo dachte daran, wie oft das in Filmen vorkam. Wenn Männer zu Jägern abseits der Jagdregeln wurden. Kam seine Angst also nur daher, weil er das schon mal im Kino gesehen, im Roman gelesen hatte? War sein paranoides Wesen ein von Fiktionen bestimmtes? In Kombination mit seinem mütterlicherseits geprägten Vorurteil?
Er konnte es nicht sagen. Er fühlte sich nur einfach sehr unwohl. Er sagte: »Wir müssen los, es ist spät, und wir haben noch einen Weg vor uns.«
»Was für einen Weg? Was machen Sie überhaupt in dieser Gegend?« fragte der Baden-Badener und setzte eine Zigarre in Brand, die in seinem Mund anmutete wie ein schmelzender Torpedo. Der rauchende Torpedist stellte fest: »Sie sehen nicht aus, als wären Sie zum Jagen in diese Einöde gereist.«
Ivo erklärte, er sei Botaniker und im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprogramms vor Ort. Er sagte: »Ich sammle Pilze und Gräser.«
»Ja, die stehen wenigstens still«, lachte der Baden-Badener und gab den anderen ein Zeichen, die sich nun daranmachten, die Trophäen zu präparieren.
Interessant war, daà bei alldem niemand sich mit seinem Namen vorstellte, auch Ivo nicht. Wieso? Weil Namen in solcher Wildnis bedeutungslos waren? Immerhin verriet der Baden-Badener, sich in seiner bürgerlichen Existenz als Anästhesist zu verdingen. Er sagte: »Ich weià um die Kürze des Lebens.«
Ivo dazu: »Wie alt werden eigentlich solche Schneeschafe? Ich meine, wenn man sie vorher nicht erschieÃt.«
»Sie sind aber nicht gekommen, um die Viecher zu retten, oder?«
»Wie gesagt, ich rette Pflanzen.«
»Dabei sollten Sie es auch bewenden lassen«, äuÃerte der Baden-Badener und blieb die Antwort nach dem Alter von Schneeschafen schuldig.
Ivo Berg sah hinüber zu den Männern, wie diese nun begannen, die Schädelknochen von Fell und Fleisch zu befreien. Hernach sollten die Häupter in einem groÃen Kochgefäà landen, zu welchem Zweck der Helfer soeben Feuerholz aufschichtete. Ivo war dumm genug, auf der Tötungsfrage zu beharren. Es reizte ihn wohl allzusehr. Er wollte von dem Baden-Badener wissen, welche Lust es eigentlich bereite, Tiere zur Strecke zu bringen.
»Der Jäger steckt in uns«, sagte der Zigarrenmann mit ruhiger Stimme, »in einem jeden von uns. Auch in Ihnen. Ich will Ihnen jetzt nicht erzählen, daà in Kulturlandschaften die Jagd einer Regulation dient, die eine degenerierte Natur nicht mehr zu leisten imstande ist. Denn ⦠nun, wir sind ja hier definitiv in keiner Kulturlandschaft. Wilder, ursprünglicher geht es gar nicht mehr. Ursprünglicher ist es nur noch auf dem Mond.«
»Mondkälber schieÃen, das wäre es doch wohl«, meinte Ivo.
»Gäbe es die, ich würde sofort auf den Mond fliegen«, antwortete der Baden-Badener grinsend. Wurde dann wieder ernst und postulierte, daà in der Jagd der Mensch ganz bei sich sei, mehr noch als in der Liebe. Er sagte: »Wenn wir lieben, tun wir die meiste Zeit nur so, als ob wir liebten, tun so, wie man uns gelehrt hat, zu lieben. Allein in der Jagd folgen wir unserem ureigensten Trieb. Die Lust ergibt sich aus der absoluten Konzentration.
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