Die Haischwimmerin
unterbunden hatte, unterband er mit dieser sowohl schwerelosen wie massereichen Handauflegung auch den Widerstand Ivos.
»Gut«, sagte Ivo und sah hinüber zu den Bergen, hinter die gerade die Sonne fiel â in dieser Art des Ohnmächtigwerdens besonders vornehmer Damen. Immerhin, dank des abendlichen Szenariums konnte sich Ivo einreden, richtig zu handeln, indem er einen Marsch durch den demnächst dunklen, wahrscheinlich tiefdunklen Wald vermied. Er rief hinüber zu Spirou: »Wir stellen hinter dem Haus die Zelte auf!«
Spirous jugendliches Gesicht verwandelte sich für einen kurzen Moment ins Greisenhafte. Ja, genau so würde dieser Junge in siebzig oder achtzig Jahren aussehen. Ein Beckett-Schädel, gefalteter Stein. â Doch bereits einen Augenblick später war Spirou wieder der Draufgänger mit der roten Mütze, nickte Ivo zu und gab Galina mittels Zeichensprache zu verstehen, man wolle heute nicht mehr aufbrechen.
Galina atmete laut aus. Wobei es nicht ängstlich, sondern nur verächtlich klang. So, wie sie da stand, sah sie aus wie die letzte Frau auf Erden, die freilich das Pech hatte, nicht auch gleichzeitig der letzte Mensch auf Erden zu sein.
Begleitet von dem Baden-Badener, begab sich das »Ochotsker Trio« auf die Rückseite des Holzhauses und begann dort also, zwei Zelte aufzustellen, wobei Galina sich darauf beschränkte, ihre Töpfe und ihr Kochwerkzeug in der Art einer chirurgischen Palette auszubreiten. Es war vor allem Spirou, der beim Aufstellen der in kräftigem Gelb aufleuchtenden beiden Expeditionszelte Geschick walten lieÃ.
»Gute Tarnung«, kommentierte der Baden-Badener.
»Wie meinen Sie das?« fragte Ivo.
»Na, wenn Sie mit diesen Zelten sich in einem Meer von Pfifferlingen befinden. Oder Butterblumen.«
»Weit und breit kein Pfifferling«, stellte Ivo das Offenkundige fest, erklärte dann aber, daà neben dem Ãberlebensprinzip der Tarnung schlieÃlich auch das der Warnung existiere. »Ein ähnliches Gelb wie bei diesem Zelt findet sich auch beim sogenannten Zitronengelben Blattsteiger, dem giftigsten Frosch, den die Natur zu bieten hat. Sein Gelb funktioniert als Warnfärbung. Der Frosch offenbart seine Giftigkeit.«
»Ich verstehe. Wer das Zelt sieht, sollte sich in acht nehmen.«
»Absolut richtig. Die grelle Farbe signalisiert die Abwehrfähigkeit.«
»Nun, mag ja sein«, meinte der Jäger, »daà wir keine Giftpfeilfrösche verspeisen, Pfifferlinge aber schon. Wir haben sogar welche in der Dose hier. Warum tut der Mensch so was, gelbe Pilze essen?«
»Gelb ist nicht gelb. Das Gelb des Pfifferlings ist rötlich und matt. Dieses Zelt aber sieht eher aus wie eine lackierte Zitrone, oder eben wie jener famose Frosch, der auf seiner Haut genug Batrachotoxin besitzt, um uns alle auszurotten.«
»Alle?«
»Zehn Erwachsene kriegt er hin. Und wir sind nur acht und ein Kind.«
»Beeindruckend. Da werden wir uns also in acht nehmen müssen«, lachte der Baden-Badener.
In der Tat hatte Ivo diese Anmerkung als eine Warnung gemeint: eine Warnung an die Jäger, sich in der kommenden Nacht den beiden Zelten nicht zu nähern.
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»Verdammte Paranoia!« dachte Ivo später, als man um ein Lagerfeuer herum auf präparierten Holzstämmen saà und einen tatsächlich groÃartigen Riesling trank. Dazu gab es den versprochenen Fisch, dessen Fleisch im Licht des Feuers zu glühen schien. Als hätte das Fleisch Fieber. Ja, man konnte das Fieber schmecken. Heià und zart. Fleisch im Delirium. Gruselig war nur, daà in einem der groÃen Töpfe noch immer die Schafshäupter schwammen.
Die Konstellation der Gesprächspartner, wie sie sich zuvor ergeben hatte, blieb auch jetzt aufrecht. Ivo unterhielt sich allein mit dem Baden-Badener, während der Karlsruher, der Amerikaner und der Australier in jener feixenden Weise miteinander redeten, die man gerne Waschweibern zuschreibt. Spirou wiederum diskutierte mit den Männern aus Magadan, der östlich von Ochotsk gelegenen gröÃeren und bedeutenderen Hafenstadt. Galina hingegen blieb für sich, saà am Rande des Feuers, über das sie einen kleinen Topf hielt, in dem sie sich eine Suppe zubereitete. Sie hatte sich geweigert, den angebotenen Fisch zu essen, auch geweigert, diesen Fisch selbst zu verarbeiten. Und weigerte sich fortgesetzt, an der Sauferei
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