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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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teilzunehmen. Dabei war sie wahrlich keine Verächterin von Wodka, das hatte sie mehrfach bewiesen. Sie konnte saufen, bis die Männlein um sie herum ohnmächtig vom Brett fielen. Aber eben nicht hier und jetzt. Denn die Frage, was oder wer giftig sei, schien sie auf ihre eigene Weise zu beantworten.
    Doch ihr Verzicht auf den Alkohol bewahrte sie nicht davor, daß später der Australier aufstand und zu ihr hinwankte. Er verfügte über einen mächtigen, präzise geschnittenen Schnauzbart, und sein Gesicht stach aus dem Dunkel, als stehe es im Dauerlicht einer Heizlampe. Er setzte sich neben sie auf den Holzstamm, schwenkte seinen Kopf in ihre Richtung und flüsterte ihr etwas ins Ohr, als könne er auf diese Weise ihre Taubheit durchbrechen. Vor allem aber berührten seine Lippen ihr Ohr. Sie hob ihren Arm, um ihn wegzustoßen. Doch er packte ihr Handgelenk, drehte den Handrücken zu sich hin, verkündete »I want some pussy« und preßte seinen Mund auf die fremde Haut. Ivo meinte trotz des Abstands das schmatzende, saugende Geräusch zu vernehmen, das dabei entstand. Dieser Handkuß war somit alles andere als eine freundliche, respektvolle, etwas sentimentale Geste. Eher gemahnte dieser Akt an jenes mit Hornzähnen und Saugmaul ausgestattete Neunauge, das sich an seine Opfer anklammert und deren Blut trinkt. Dieser Australier gehörte eindeutig zur Gruppe parasitärer Wirbeltiere.
    Â»Oh, Scheiße, ich hab’s doch geahnt«, sagte Ivo und fuhr hoch.
    Der Baden-Badener hielt ihn zurück. »Was haben Sie denn? Darf denn ein Mann einer schönen Frau nicht die Hand küssen?«
    Â»Nicht, wenn er dabei bis auf die Knochen nagt«, befand Ivo und ging los.
    Doch Galina setzte sich bereits zur Wehr. Sie drehte ihren freien, angewinkelten Arm und schlug mit dem Ellbogen gegen den Schädel des Mannes, der noch immer an ihrer Hand herumschleckte. Endlich kippte er zur Seite, fing sich aber, rief »Bad ass bitch!«, holte aus und verabreichte ihr eine Ohrfeige. Keine kleine. Es wirbelte Galina nach hinten. In diesem Moment hatte Ivo sie erreicht und fing sie auf.
    Er stockte. Ihm kam es so vor, als wiederholte sich auf eine verschlüsselte Weise der Giesentweiser Vorfall, der sein Leben so massiv verändert hatte. Nur, daß er jetzt die Chance erhielt, etwas zu tun für die Frau, an der ihm etwas lag.
    Aber worin bestand die Chance? Allein darin, sie aufgefangen zu haben? Nein, damit würde die Sache kaum beendet sein. Denn der Australier, der im Zuge der eigenen Betrunkenheit zur Seite gerutscht und auf die Knie gefallen war, entließ eine verzahnte Folge heftiger Flüche – Variationen auf das Bitch-Thema – und versuchte sich aufzurichten. Ganz sicher nicht, um den Schwanz einzuziehen und das Feld zu räumen. Die anderen lachten. Dieses Lachen würde den Australier kaum animieren, sich zu mäßigen.
    Ivo überlegte im Sekundenbruchteil, ob er nach all den Jahren, die seit den Ereignissen in Giesentweis vergangen waren, erneut jene Kampftechnik zum Einsatz bringen sollte, die darin bestand, den Gegner hauchend umzublasen. Wäre er dazu überhaupt noch in der Lage? Und war es sinnvoll, etwas zu wiederholen, was sich in der damaligen Situation insgesamt als Nachteil erwiesen hatte?
    Ivo entschied sich dagegen. Vielmehr tat er etwas, was er bisher noch nie getan hatte und es eigentlich auch nur aus dem Fernsehen kannte. Noch bevor der Australier auf die Beine kommen konnte, holte Ivo mit dem Fuß aus und trat nach dem anderen wie nach einem Ball, den man noch in der Luft befindlich retourniert. Die Spitze von Ivos Fuß traf die Seite des knochenfreien Mittelbauchs. Der Getroffene fiel mit einem lauten Stöhnen zur Seite. Ein Stöhnen, in welchem sämtliche Adjektive, die einem zu »Bitch!« einfallen konnten, sich zu einem einzigen abstrakten, monochromen Gemälde verdichteten. Einem Black Painting.
    Die anderen Männer waren alle aufgesprungen, aber keiner kam herübergerannt, vielmehr nahmen sie eine lauernde Haltung ein. So bildeten sie ihrerseits eine Skulptur, eine figurale Gruppe, die das Black Painting um eine altmeisterliche Note ergänzte. Der Baden-Badener tat zudem auch noch den Mund auf, indem er wissen wollte: »Sind Sie verrückt geworden?«
    Nun, war Ivo das? Hatte er überzogen reagiert? Hätte er den Australier höflich bitten sollen, weder Galinas Hand auszusaugen

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