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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Alles andere ist Ablenkung, Spiel, Routine. Bei der Jagd gesundet der verbildete, zögerliche Geist. Da gibt es keine Ausreden mehr, keine Zurückhaltung, keine Moral. Die Moral macht uns unfrei. – Ich weiß schon, ohne Moral würde unser Dasein nicht funktionieren. Die Frage ist nur, ob wir überhaupt so leben wollen, in ständiger Einschränkung unserer Triebe, unserer Instinkte. Die Jagd hingegen bedeutet Freiheit. Dieselbe Freiheit, die diese Tiere besitzen. Indem wir sie töten, holen wir uns diese Freiheit zurück. Wenn Sie mich fragen, wo ich mich Gott ganz nahe fühle, dann frage ich zurück: In einer Kirche etwa? Umgeben von Klimbim, im besten Fall von prächtigen Schinken egomanischer Kunstschaffender, gelangweilt von den tugendhaften Reden tugendloser Schwadroneure, neben mir meine Frau, die nur darum Mitglied dieser Kirche ist, weil sie in Weiß heiraten wollte und ihre Eltern ihr niemals ungetaufte Enkel verziehen hätten. Keine Angst, ich werde in die Kirche gehen, bis ich einmal tot umfalle. Aber Gott bin ich dort noch nie begegnet.«
    Â»Wie soll ich das verstehen? Wenn Sie einem Schaf in die Augen schauen, bevor Sie es erschießen, dann erkennen Sie Gott?«
    Â»Nun, ist das so abwegig, den Schöpfer der Dinge und Wesen eher in einem Tier zu vermuten als in einem gewölbten, kalten Raum, wo alle auf die Uhr schauen, wie lange es noch dauert, bevor sie endlich zum Frühschoppen dürfen?«
    Â»Wenn ich das konsequent sehe«, meinte Ivo, »würde ich sagen, indem Sie das Tier töten, töten Sie Gott.«
    Â»Ich töte, was er geschaffen hat. Dadurch bin ich ihm sehr viel näher, als wenn ich ein kleines, dummes Gebet spreche, das ich schon als Kind nicht ernst genommen habe.«
    Das Gefühl der Bedrohung, das Ivo empfand, schmälerte sich in keiner Weise dadurch, wie sehr dieser Mann aus Baden-Baden sich auf kluge Weise zu erklären verstand. Die Klugen waren die Schlimmsten. Sie schafften es, den Unsinn kleidsam zu gestalten. Zudem erfüllte dieser Mann in seiner ganzen selbstsicheren Haltung perfekt die Vorstellung jenes »gezähmten Killers«, nur, daß die Zähmung sich mit dem Abstand zur Zivilisation wohl verringerte.
    Â»Nun ja«, meinte Ivo und wehrte mit einer Geste einen weiteren angebotenen Wodka ab, »ich glaube, ehrlich gesagt, daß Gott nicht viel daran liegt, daß wir seiner habhaft werden, weder in der Kirche noch bei der Jagd. Wenn überhaupt, schaut er durch uns hindurch.«
    Â»Bedauerlich für Sie, es so zu sehen.«
    Â»Ich kann damit leben. Womit ich weniger gut leben kann, ist aber, bei einbrechender Dunkelheit durch eine Gegend zu stolpern, die ich nur von Karten her kenne. Und Karten sind nun mal ein recht blasser Abglanz der Wirklichkeit.«
    Â»Da gebe ich Ihnen absolut recht. Wobei ich Sie herzlich einladen möchte, hinter dem Haus zu kampieren. Wir könnten uns dann noch weiter unterhalten. Es muß ja nicht die Jagd betreffen, oder? Und auch nicht Gott. Es wäre mir wirklich ein Vergnügen, Sie und Ihre Freunde zum Abendessen einzuladen. Wir haben einen wunderbaren Rheingau-Riesling dabei. Und keine Angst, wir essen kein Schafsfleisch, sondern frischen Fisch. Der Lachs in dieser Gegend ist fabelhaft.«
    Nun, das war recht typisch für diese Position des Jagens, nämlich das erlegte Tier nicht zu verspeisen, also nicht so eine Einheit-mit-der-Natur-Schiene zu fahren. Sondern den Akt der Jagd echt und rein zu erhalten, gewissermaßen moralfrei und frei vom Nutzen der Ernährung.
    Ivo wand sich. Sein Instinkt riet ihm, sich eiligst auf den Weg zu machen. Gleichzeitig wollte er nicht unhöflich sein, um so mehr, als der Baden-Badener jetzt meinte: »Ich liebe diesen österreichischen Tonfall. Es hört sich immer an, als rede ein kleines Orchester, wo einer den anderen mag und niemand sich im Weg steht. Wirklich schön!«
    Â»Danke«, sagte Ivo, der es unterließ, darauf hinzuweisen, wie lange er schon nicht mehr in Österreich lebte und wie sehr ihm das baden-württembergische Wesen vertraut war, wie tief er selbst – trotz seiner Kleinorchesterstimme – in diesem Wesen verankert war, um jetzt nicht das Wort begraben zu verwenden.
    Ein letztes Mal bemühte sich Ivo, der Einladung zu entfliehen. Aber der Baden-Badener griff Ivo an die Schulter. Und so, wie er zuvor die sexistischen Bemerkungen seiner Jagdfreunde

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