Die halbe Sonne
gibt es die einen, die sich geweigert haben, zur Waffe zu greifen, und die anderen, die nichts Falsches darin erkennen konnten, Flaschen mit Benzin zu füllen. Man findet solche, die davon träumen, die Ehre der alten Widerstandsbewegungen wiederherzustellen, und solche, die sich noch nicht von Stalins Schauprozessen distanziert haben. Da gibt es liberal gesinnte Sozialdemokraten und sozial engagierte Liberale, da gibt es jene, die sich nach ihrem Kontakt zur britischen Labour-Partei reformiert haben, und jene, die lieber weiter L’Humanité lesen.
Lange und einfallsreich behält der Vater die Kontrolle über die Verwaltung. Aber im Vergleich zu seinen Kollegen ist er politisch unerfahren, vielleicht auch naiv. Er glaubt tatsächlich an eine gerechte Verteilung und betrachtet jeden Kollegen so lange als Vertrauten, bis das Gegenteil bewiesen ist. Langsam erodiert sein Einfluss. Einige Jahre vor seiner Pensionierung und ungefähr gleichzeitig mit der Diagnose muss er erkennen, dass die Methoden, die er im Ausland angewandt hat, hier nicht ausreichen. Die Personen, die er gefördert und darauf vorbereitet hat, seine Aufgaben zu übernehmen, erweisen sich entweder als schwach oder haben kein Interesse an der Verwaltungsarbeit. Außerdem begreift er zum ersten Mal, dass ihm nahestehende Menschen eigene Pläne und Ansichten haben können, die sie ihm nicht unbedingt anvertrauen. Er schüttelt den Kopf. Er seufzt darüber, was er an seiner Brust genährt hat. Er zuckt lächelnd mit den Schultern.
»Diktatur. Was ist verkehrt an einer Diktatur?«
Bis fünf Uhr geht man auf Zehenspitzen
Wenn der Vater nach dem Mittagessen ruht, wird eine Decke über das Haus gezogen. Alle sprechen gedämpft, am liebsten würde man nicht einmal die Toilettenspülung betätigen. Die Stunden zwischen drei und fünf sind heilig.
Während seiner Jahre im Ausland wurde nur an den Wochenenden Siesta gehalten. An einem Nachmittag in der Vergangenheit durften die jüngsten Kinder jedoch fernsehen. Vielleicht war die Mutter anderweitig beschäftigt. Sie sitzen vor dem Fernsehapparat auf dem Fußboden, der Ton ist leise gestellt, der Vater liegt, einen Arm über dem Gesicht, auf der Couch. Er hat Kopfschmerzen, oder es stört ihn, sich nicht unbehelligt ausruhen zu können. Auf dem Bildschirm schlägt ein barfüßiges Mädchen Saltos auf einem Pferd, anschließend spritzt ein Clown Wasser aus einer Blume am Jackettrevers. Danach treten endlich die Trapezartisten auf. Der Zirkusdirektor hebt die Hand, senkt die Stimme und bittet das Publikum um »größt – mögliche – Stilllle ...«.
Die Kinder kichern erstickt. Schließlich kann sich die Tochter nicht mehr zurückhalten. »Papa, bist du ein Zirkusonkel?« Unter dem Arm versucht eine gewisse Person, ihre Stimme ernst zu halten. »Habt ihr nicht versprochen, still zu sein?« Aber dann geht es einfach nicht mehr. »Setzt euch hierher. Und hierher.« Er schlägt mit den Händen auf die Couchpolster. »Und macht lauter, damit man was versteht!«
Fortan reicht es, »Stilllle« zu zischen, um das Bedürfnis des Vaters nicht als Forderung, sondern als Wunsch erscheinen zu lassen. Langsam hält die Demokratie auch in dieser Familie Einzug. Erst in den letzten Jahren scherzt keiner mehr. Wenn der gemeine Soldat die Befehle Oberst Parkinsons befolgt und nach dem Mittagessen ins Bett stolpert, halten alle die Luft an. Bis fünf Uhr geht man wieder auf Zehenspitzen.
Streichholztitan
Ein Vater ist, auch lange nachdem er beim Feuer um Hilfe bitten muss, größer als groß.
Danke, aber nein danke
EIN SOHN: Vielleicht sind Erinnerungen wie Hölzer.
DER GESTERBTE: Streichhölzer?
EIN SOHN: Sie flammen auf, spenden für einen Moment Licht, erlöschen.
DER GESTERBTE: Woraufhin das Vergegenwärtigte zu dem zurückkehren kann, was es am besten kann?
EIN SOHN: Was meinst du?
DER GESTERBTE: Im Verborgenen zu wirken?
EIN SOHN: Schon möglich ...
DER GESTERBTE: Danke, aber nein danke. Erinnerungen müssen wie Reibflächen behandelt werden.
Ventile x 3
1. Wenn der Vater sehr beschäftigt ist, sucht er sich Ventile. Wenn er seine gesamte Kraft eigentlich darauf verwenden sollte, den Bericht für das Ministerium zusammenzustellen oder die Beschlussvorlage für den Forschungsrat vorzubereiten, schweifen seine Gedanken ab. Er wühlt im Bücherregal und findet eine Gedichtsammlung. Schon nach zwei Zeilen wiegt sich seine Brust wie ein Mohnfeld. Jetzt ist er Wind, Sonnenlicht, Erröten. Rasch sucht er ein
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