Die halbe Sonne
die Quelle oben in den Bergen erreichen, bekommt DIE NEUROLOGIN jedoch plötzlich Kopfschmerzen. Sie wird weinerlich, lässt den Fünfundzwanzigjährigen bestimmen, was sie tun sollen, benimmt sich wie ein Kind. Als wolle sie für ihr Tun keine Verantwortung übernehmen. In einer Taverne erklärt DER FÜNFUNDZWANZIGJÄHRIGE , dass sich manche Dinge nicht wiederholen sollten. Jetzt wird DIE NEUROLOGIN ebenso plötzlich ausgelassen – beginnt zu trinken, zu lachen, bis ihr Tränen in die Augen treten, entschuldigt sich. Sie hätte nicht gedacht, gesteht sie, dass DER FÜNFUNDZWANZIGJÄHRIGE so sehr er-weiß-schon-wem ähnelt.
Vierter Akt . In diesem Akt fühlt sich DER FÜNFUNDZWANZIGJÄHRIGE mehr als je zuvor wie der Vater. Und weniger als je zuvor.
Fünfter Akt. Auf dem Heimflug denkt DER FÜNFUNDZWANZIGJÄHRIGE an DIE MUTTER .
Epilog . DER VATER : »Ich möchte behaupten, dass Dramen dieser Art nur von jungen Männern geschrieben werden dürfen.«
In tausend Jahren nicht
Der reumütige Vater weiß, dass seine Frau ihr Leben mit einer Fürsorglichkeit schützt, die zu erwarten er auch in tausend Jahren nicht das Recht erwerben kann. Als er jedoch sieht, wie sie die nordschwedischen Abrechnungen durchgeht, Briefe schreibt, während er selbst mit Kreta telefoniert, oder vor der näher rückenden Heimreise packt, betrachtet er nicht die heimliche Hüterin des Daseins. Er sieht eine neunzehnjährige Kunststudentin mit eigensinnigem, aber untrüglichem Blick und sicheren, eleganten Bewegungen, er sieht eine Einundzwanzigjährige, die aus dem Zug aus Wien steigt, umstandslos ihre Koffer fallen lässt und auf dem Bahnsteig auf ihn zuläuft, er sieht eine schwangere Gastgeberin, die in einem Abendkleid zwischen smokingbekleideten Gästen navigiert, nachdem sie, wie er weiß, die halbe Nacht aufgeblieben ist, um es fertig zu nähen, er sieht eine Mutter von zwei Söhnen, für die manche Kollegen im Krankenhaus ihre rechte Hand hergeben würden, die sich der männlichen Blicke jedoch nicht einmal bewusst zu sein scheint, er sieht eine Kapitänin, die gerade ihren Bootsführerschein gemacht hat und das vom Dorfelektriker ausgeliehene Motorboot steuert, als hätte sie nie etwas anderes getan, er sieht eine Frau, die in ihren Händen die ersten reifen Birnen des Gartens wiegt und erklärt, so sollten sie sein, gleichwertig, aber dennoch unterscheidbar, er sieht sie nachdenken und hinzufügen: und für die Kinder austauschbar, er sieht einen Menschen, der seit so vielen Jahren an seiner Seite geht, von denen er nicht einen Monat oder eine Minute missen möchte, trotz des Kummers, den er ihr manches Mal bereitet hat. Und er weiß, dass die Selbständigkeit seiner Gattin so geartet ist, dass sie sogar über der Freiheit steht. Nein, nicht in tausend Jahren, nicht in tausend Jahren.
Mysterium, Teil zwei
DER GESTERBTE : Oh, deine Mutter ist kein Mensch, den man als gegeben hinnimmt.
Hauptquartier mit Aufzug
Während einer Übergangsphase pendelt der Vater zwischen den Ländern. Dann ziehen seine Frau und der jüngere Teil der Familie nach. Im ersten Winter wohnt man in einem Vorort von Athen und wartet darauf, eine passende Behausung zu finden. Dann ergibt sich etwas in einer Querstraße zu einem zentralen Platz, und er schlägt zu. Die Wohnung ist riesig, wie eine an Land gezogene Jacht, mit Salons, Serviergängen und einem privaten Aufzug. Als die Familie sie besichtigt, gerät die Mutter ins Wanken. »Und wie sollen wir das hier deiner Meinung nach schaffen?« Sie lacht, hält sich aber an einem Türpfosten fest. Ihr Gatte bekommt seinen Warum-verlässt-du-dich-nicht-auf-mich?-Gesichtsausdruck. Als sie in den Flur zurückkehren, fragt er, ob der Sohn den Keller sehen möchte.
Der knarrende Aufzug ist eng wie ein Schuhkarton. Es stellt sich heraus, dass die Kellertür abgeschlossen ist.
Auf dem Weg nach oben erzählt der Vater, dass die Wohnung früher dem Zeremonienmeister des Königs gehörte. Im Krieg lag auf der anderen Seite des Hinterhofs die Gestapozentrale. Er hebt die Augenbrauen, presst die Lippen zusammen. Der Sohn versteht. Das sollte man der Mutter lieber nicht sagen. Möglichst lange nicht.
Ganz einfach
Die Fenster in der neuen Wohnung stehen offen. Auf dem Hinterhof hört man Kinder spielen – Rufe, Lachen, schnelle Schuhsohlen. Die Geräusche hallen zwischen den Gebäuden, es klingt, als wären es um ein Vielfaches mehr. Die Mutter betritt das Zimmer, schüttelt den Kopf, sagt an niemand Bestimmten
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