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Die halbe Sonne

Die halbe Sonne

Titel: Die halbe Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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gehört hat. Der Vater verlangt nicht, dass sie ihm beipflichtet, es reicht völlig, dass sie die Worte begreift, die er benutzt. Kapiert seine Gattin oder kapiert sie nicht? Es ist ein Geschäft zwischen Griechen. Er hat das Kostbarste gegeben, was er besitzt: sein Wort.
    Am nächsten Tag begleicht er auf der Bank Zinsrückstände. Und schläft sicherheitshalber eine weitere Woche im Keller.

Aus dem Forschungszentrum für ausländischen Stolz

    Beim Sohn treten unerwartet Magenbeschwerden auf. Die Mutter muss nicht lange nachdenken, um zu begreifen, dass sie weder auf die Ernährung noch auf sein Übergangsalter zurückzuführen sind. Sie fordert ihren Mann auf, seinem Kind zu erklären, wie der Rettungsplan für den Hangar aussieht. Er widmet der Aufgabe einen Samstag. Spricht ruhig und mit Bedacht, wie zu einem Gleichgestellten, während sie im Garten Laub harken. Mit jeder Vertraulichkeit wächst der Sohn einige Zentimeter, eifrig nickend und den Kopf schüttelnd. Der Vater begreift hoffentlich, dass er auf seiner Seite steht? Gern würde er vor der Schule Zeitungen austragen, und könnte es im übrigen nicht eine gute Idee sein, den Nachbarn an den Wochenenden Hilfe bei der Gartenarbeit anzubieten? Schau, für das Schneiden von Hecken braucht er bloß ein paar Minuten. Danach richtet der Sohn – inzwischen zwei Meter und zwanzig groß – ein Forschungszentrum zum Studium ausländischen Stolzes ein.
    So fällt ihm beispielsweise auf, dass ein ausländischer Vater niemals aufgibt. Sonst ist er kein ausländischer Vater. Was zu beweisen wäre.
    So stellt er fest, dass für einen ausländischen Vater alle Kniffe erlaubt sind. Das heißt: alle, die keine im Keller verbrachten Nächte nach sich ziehen.
    So kommt er zu dem Schluss, dass ungeputzte Schuhe, ungepflegter Bart, Übergewicht – alles an einem ausländischen Vater geliebt werden muss. Sogar eventuelle Herzinfarkte. Die ganz besonders.
    Eines Tages, ahnt der Forscher, wird er zudem entdecken, dass er als Elternteil weniger ausländisch als der Vater ist.

Die Schönheit wird unentbehrlich

    Lange nachdem der Vater Zeitungen und Gewürzdosen zur Seite geschoben hat, um eine Einkaufstüte auf dem Küchentisch abstellen zu können, gesteht er leise, sehr leise, dass er auch noch mit einer zweiten Tüte nach Hause kam. Der Sohn, der inzwischen ein Kind hat, erkundigt sich, was die Mutter dazu sagte und wie es ihnen gelang, das Darlehen zurückzuzahlen. Der Körper des Vaters bebt. »Ich war in der Hölle«, lacht er nur. »Bin aber wieder zurückgekommen. Und ich sage dir: Es war grandios.«

Der Sohn ahnt allmählich:

    Ein Vater ist, streng genommen, ein wilder Begriff.

Etwas Gelbes, Glänzendes, halb Vergessenes

    Im letzten Jahr der siebziger Jahre besucht der Sohn Zusatzkurse in den naturwissenschaftlichen Fächern, damit er sich für einen Studienplatz in Medizin bewerben kann. Als er auf der Suche nach hilfreicher Literatur in den Regalen der Bibliothek stöbert, findet er etwas Gelbes, Glänzendes, halb Vergessenes. Ein Kranium. Er verschwendet keinen Gedanken an das Haar oder die Haut, die den Schädel einmal bedeckt haben. Er kann nicht feststellen, ob er einem Mann oder einer Frau gehört hat. Er pustet den Staub vom Scheitel, reflektiert jedoch nicht darüber, dass er mit Gehirn, Knorpel, Blut gefüllt gewesen sein muss. Als sich der Staub verflüchtigt hat, fragt er sich nur: Wie ist er in den Besitz des Vaters gelangt?
    Der Vater, der private Studien in Anatomie gern unterstützt, leiht seinem Sohn das Kranium gegen das Versprechen, es respektvoll zu behandeln. »Alles hat zwei Seiten.« Vorsichtig stellt der Sohn es auf seinen Schreibtisch. Aber statt die Hirnschale oder die Schläfenlappen zu studieren, dichtet er über Ruinen und Marionetten, über bösen, vorzeitigen Tod und fatale Familienangelegenheiten. Er zieht einen Rollkragenpullover an und tut so, als herrsche er über ein ungeahntes Reich, er erdreistet sich, das Kranium »unendlich lustig« und »außerordentlich humoristisch« zu nennen. Als Hamlet macht er jedoch nicht viel her, und nach ein paar Wochen gibt er den Schädel zurück. Sein leichtfertiges Handeln beunruhigt ihn noch lange Zeit später. Das Licht der Schreibtischlampe, die sich in der Tischplatte spiegelt, erinnert ihn an etwas Gelbes, Glänzendes, nur halb Vergessenes.

Tête-à-tête

    DER GESTERBTE : Worte, Worte, Worte. Ich bevorzuge Menschen. Jetzt, im nachhinein, mache ich mir trotzdem so meine Gedanken. Stell

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