Die halbe Sonne
Ausblick auf den einzigen Apfelbaum des Grundstücks versucht er zu schreiben. Nach dem Sturz der Militärjunta zwei Jahre zuvor kann er sein Heimatland wieder besuchen, aber wenn er nun nach Worten sucht, kommen ihm nicht nur die in den Sinn, mit denen er aufgewachsen ist. An seiner Pfeife ziehend wird er unsicher, ob er das Blatt in die Maschine mit den griechischen oder mit den lateinischen Buchstaben einspannen soll. Es kommt vor, dass er den Bogen mit einem halbgeschriebenen Text herauszieht und in die andere Walze steckt.
Der Vater kann sich auf dieses Wanken keinen Reim machen. Es hat verdammt noch mal den Anschein, als hätten die Zeichen von alleine angefangen zu wandern.
Und wenn es die ganze Nacht dauert
Manchmal verkündet der Vater, die Mutter und er bräuchten Zeit für sich. Sein Ton ist ernst, aber fürsorglich, es wird der Eindruck erweckt, dass er etwas für seine Frau tun möchte. Einmal besuchen sie das Kunstmuseum nahe Helsingör, ein anderes Mal fahren sie zu einer prähistorischen Stätte an der Südküste, oder sie gehen in einem Gasthof in irgendeinem Fischerdorf essen. Die Ausflüge erinnern sie daran, wer sie zwanzig Jahre zuvor waren – als sie in der derselben Stadt, aber auf dreißig Quadratmetern wohnten, allein mit einem Waschbecken in der Ecke und einer zwischen Türpfosten und Gardinenstange gespannten Leine. Die frisch eingetroffene Österreicherin arbeitete im Kulturhistorischen Museum, der angehende Arzt widmete seine Nächte Gedichten. Er stellte sich vor, die Tropfen, die mitunter von der Wäsche herabfielen, wären leise Schläge eines Metronoms. Zwischen den Geräuschen wurden sie gemeinsam viele Atemzüge älter. Im Bett bewegte sich seine Frau kühl und märchenhaft im Schlaf.
Ein Vierteljahrhundert später sind sie immer noch jung, aber nicht mehr allein. Als der Vater vorschlägt, zum windigen Strand hinunterzugehen, spürt er den Hüftknochen seiner Frau an seinem, und wird von Gefühlen übermannt. An seiner Seite bewegt sich ein so großer Teil des Menschen, zu dem er geworden ist, dass er sich fragt, wie es ihm eigentlich gelingt, mit nur einem Paar Beine aufrecht zu gehen. Er zieht den Knoten am Trenchcoatgürtel enger, füllt die Augen mit Meer. Für ein paar Minuten ist er wieder vierundzwanzig Jahre alt, keinen Tag mehr.
Als die Eltern nach Hause kommen, ist unübersehbar, dass der Vater den Ausflug nicht seiner Frau zuliebe gemacht hat. In ihm hat sich eine Sehnsucht angestaut, aus der er nicht klug wird. Während er den Mantel abstreift, denkt er, dass es in der Vergangenheit in irgendeiner Weise Zukunft zu geben scheint. Er ist sich nicht sicher, was das bedeutet. Aber nun gilt es, dieses verkehrte Tempus aufs Papier zu bannen. Und wenn es die ganze Nacht dauert.
Ehrenwort
Für die Mutter kommt es wenig überraschend, dass sich der Hangar im Unterhalt als teuer erweist. Als die Galerie sie nicht retten kann, spricht sie mit ihrem Mann. Der griechische Optimismus, mit dem er das meiste im Leben in Angriff nimmt, der ist phantastisch, sie möchte, dass er das weiß, aber vielleicht wäre es langsam an der Zeit, sich schwedische Tugenden anzueignen? Ein bisschen Maß zu halten hat Vorteile ... Wenn sie nicht bald etwas tun, können sie genauso gut die Koffer packen. Oder die Kinder verkaufen.
Zum ersten Mal denkt der Vater über sein Talent nach, sich zu übernehmen. Für einige Wochen verlieren die Tage ihre Form. Er liegt auf dem Bett, vergräbt sich in Arbeit, knattert auf den Schreibmaschinen. Während die Mutter das Tagesgeschäft regelt, geht er in die innere Emigration. Vier Kinder bewegen sich auf Zehenspitzen.
Als er schließlich wieder heraustritt, denkt er, dass das Leben dazu da ist, die Schönheit unentbehrlich zu machen. Er sondiert das Terrain unter Landsleuten, die er lange nicht mehr getroffen hat. Mehrere Wochen verbringt er seine Abende in Gaststätten oder im Freundschaftsverein und macht darüber hinaus Hausbesuche bei Kranken. Seine Frau lässt ihn gewähren – bis er eines Abends mit einer Einkaufstüte voller Geldscheine heimkehrt.
Der Vater ist verschwiegen, die Mutter bestürzt. Als die Kinder ins Bett gegangen sind, erzählt er von dem Besitzer einer Pizzeria, den er kennengelernt hat. Das Darlehen ist kein gewöhnlicher Kredit. Sie brauchen keine Zinsen zu zahlen oder zu tilgen, und eine Frist ist ebenso wenig gesetzt worden. Versteht sie, was er sagt? Es handelt sich um ein Geschenk. Die Mutter fragt sich, ob sie richtig
Weitere Kostenlose Bücher