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Die Hand von drüben

Die Hand von drüben

Titel: Die Hand von drüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Glaskasten eine Barriere. «Hast du Sorgen, Sam?»
    «Ich will, daß du etwas für mich tust, Jane. Ich bestehe darauf.»
    Sie wußte, was jetzt kam — fürchtete es.
    «Am Montagabend sollst du mit mir mitkommen... um unsere Tochter zu sehen.»
    «Bitte, Sam, verlange das nicht von mir. Du weißt, ich will es nicht, und ich kann es nicht.»
    «Warum nicht? Kannst du nicht dieses eine Mal die kalte Fassade der Ruhe und des Eigensinns durchbrechen und zu deinem Kind gehen? Auch wenn es dir das Herz zerreißt?»
    «Sam, bitte! Warum müssen wir von dem allem wieder sprechen?»
    Seine Augen funkelten noch wilder. «Warum, warum, warum? Warum nicht? Warum willst du nicht hingehen, wenn ich dir sage, daß sie dort ist? Willst du nicht ihre Stimme wieder hören, ihre Gegenwart spüren, die Berührung ihrer Hand, ihr Lachen, ihren Atem an deinem Gesicht?»
    «Sam!» schrie Jane Constable auf. Und wenn er gewünscht hatte, daß die Fassade barst, dann hatte er jetzt erreicht, was er wollte, denn in ihrer Stimme mischten sich Empörung und die tiefe Angst einer Mutter. «Wie kannst du! Ich höre ihre Stimme! Ich höre sie in jedem wachen Moment. Ich spüre ihre Berührung! Ich habe sie in meinem Leib getragen, Sam. Ich habe nie eine Geste, eine Bewegung ihres Körpers, eine Liebkosung vergessen. Ist das nicht genug?»
    «Hältst du sie damit in den Armen?» sagte Constable. «Ich nicht. Genügt dir die Phantasie oder das Betrachten einer Fotografie, wenn du sie so wiederhaben kannst, wie sie war? Ich sage dir, sie ist dort, ihre Stimme, ihr Lachen; ihre Lippen haben meine Wangen berührt. Die Dinge, die sie weiß... Ich kann mich nicht irren...»
    «Sam, Sam, ich flehe dich an! Ich habe meinen Frieden mit dem Tode gemacht, kannst du nicht...»
    Er fegte ihre Worte weg und fiel ein: «Erinnerst du dich an jenen Abend, als sie noch ein Baby war? Es war in dem Sommer, in dem wir in den Adiron Dacks waren, und wir kamen in ihr Zimmer, und da saß eine Spinne auf dem Kissen ihrer Wiege, ganz dicht an ihrem Gesicht. Und ich sah gleich, was es für eine war, eine giftige Schwarze Witwe, die sie töten konnte. Und mit meiner ganzen Willenskraft zwang ich Mary, sich nicht zu bewegen, und auch die Spinne, und ich nahm sie in meine Finger und zerdrückte sie. Nur du und ich wußten davon. Niemand sonst. Nicht einmal Mary, denn sie war zu jung, so schien es jedenfalls. Wir haben nie jemandem gegenüber etwas davon erwähnt. Wir hatten einen solchen Schrecken bekommen, daß wir nicht einmal daran denken wollten...»
    Constables Augen glühten jetzt vor Leidenschaft. «Aber sie wußte es», sagte er. «Mary wußte es. Sie spürte meinen Willen um sich, der sie schützte. Sie gehorchte mir und blieb reglos liegen. Sie hat es mir selber gesagt.»
    «Wann?» fragte Jane und wußte im gleichen Augenblick, wie die Antwort lauten würde.
    «Eines Abends in der letzten Woche. Sie hat es mir zugeflüstert.»
    Jane sagte nichts, nickte ihn nur stumm und traurig an.
    «Glaubst du mir nicht?» schrie Constable. «Wie hätte sie es wissen können? Wie hätte es jemand wissen können?»
    Hatte es einen Sinn, ihm zu sagen, daß irgendwann im Laufe der Jahre er oder sie die Geschichte erzählt haben konnten und dann vergessen hatten, daß sie es getan, oder daß er selber vielleicht sie jenen Leuten in dem Hause, in das sie nicht gehen würde, erzählt oder angedeutet hatte?
    Constable verlor den Rest seiner Beherrschung. «Glaubst du denn an gar nichts?» brüllte er.
    Und weil er so zornig war, spürte Jane Constable, daß sie nachdenken mußte, ehe sie etwas sagte, und sie dachte lange nach und suchte in ihrem Inneren nach einer Antwort, um dessen sicher zu sein, was sie über jeden Zweifel erhaben glaubte. Dann sagte sie leise und vorsichtig: «Ich glaube an eine höhere Macht, die wir Gott nennen; daß wir von ihm kommen und am Ende unseres Lebens zu ihm zurückkehren und ein Teil von ihm werden. Ich glaube, daß Mary jetzt dort ist. Und sie soll dort sein. Die Erinnerung an sie lebt in mir fort. Welchen weiteren Beweis braucht man, daß...?»
    Von neuem unterbrach sie Constable. Mit einer Geste deutete er auf die Wachshand und blickte Jane hart und herausfordernd an. «Das ist der Beweis», sagte er. «Sie ist wiedergekehrt, darum kommt man nicht herum.»
    Wie immer, wenn er von der Hand sprach, wußte sie nicht, was sie sagen sollte. Denn tatsächlich, dort lag sie, sichtbar, berührbar, unerklärbar, die Kinderfinger flehend gekrümmt, mit all

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