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Die Hand von drüben

Die Hand von drüben

Titel: Die Hand von drüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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man die Umrisse der Möbel sah, die er schon kannte, den Flügel, eine breite Couch, Sessel und den Likörschrank. Er blieb stehen, um nach der Lichtquelle zu suchen, und sah, daß das Licht von der Straße kam, denn die Türen des nach vorn gelegenen Zimmers Tina Cryders und des nach hinten gelegenen ihres Vaters standen einen Spalt breit offen. Etwas von dem Licht draußen mußte durch die zugezogenen Vorhänge in das Zimmer des jungen Mädchens dringen. Aus Cryders Zimmer kam weniger Licht, da es zum Hof, der Rückseite des Hauses im nächsten Block hin lag.
    Hero lauschte von neuem. Er hörte nichts als den gedämpften Lärm des Verkehrs auf der West Street und fragte sich, ob dieser so laut war, daß er das regelmäßige Atmen der Schläfer übertönte. Dann kehrte er Tinas Zimmer den Rücken und schlich zu der Tür, die in ihres Vaters Zimmer führte, denn heute nacht hatte er es mit Paul Cryder zu tun. Wenn es zu einem heftigen Wortwechsel käme und das Mädchen davon erwachte, nun, dann würde es immer noch eine Brücke geben, über die er gehen konnte.
    Behutsam stieß er die Tür ganz auf, und wieder sah er durch das Nachtsehgerät, was in dem Zimmer war: ein Toilettentisch, ein kleiner Schreibtisch, mehrere Sessel, eine Tür, die wahrscheinlich in ein Badezimmer führte, und dann auf der linken Seite ein großes Bett.
    Die Umrisse der Gestalt darin waren nicht die jemandes, der sich im Schlaf zusammengerollt hat, sondern die eines Sitzenden, und Hero erlebte einen Augenblick der Panik bei dem Gedanken, daß Paul Cryder im Bett saß, einen Revolver auf ihn gerichtet hielt, den Finger am Abzug, und darauf wartete, abzudrücken, sobald er im Türrahmen sichtbar wurde.
    Er überwand seine Angst und sagte sich, dies sei ein berechenbares Risiko. Er drückte auf den Knopf seiner Taschenlampe. Das Gesicht und die obere Hälfte der Gestalt Paul Cryders wurden von dem Lichtschein erhellt, und seine Augen starrten in das Licht und reflektierten es seltsam.
    Er saß tatsächlich im Bett, sich an die Rückwand lehnend, mit einem Kissen im Nacken. Er hatte eine rotweißgestreifte Pyjamajacke an, hielt aber keinen Revolver in den Fingern, sondern in seiner rechten Hand ein aufgeschlagenes Buch.
    Der Lichtkreis der Taschenlampe fiel auf sein Gesicht, und man sah darin einen Ausdruck äußerster Überraschung. Er sagte kein Wort, stieß auch keinen Schrei aus. Der Ausdruck der Überraschung blieb. Dann sah Hero, daß er ins Nichts starrte und nie wieder etwas sehen würde. Er war tot.
    Hero blieb eine volle Minute in der Tür stehen, um dessen ganz gewiß zu sein, dann ging er auf Zehenspitzen zu dem Bett, blickte in die Pupillen der Augen, streifte den Handschuh von seiner rechten Hand ab und ließ seine Fingerspitzen einen Augenblick auf Cryders Handgelenk ruhen. Der Puls hatte ausgesetzt. Der Körper war noch nicht kalt und die Todesstärre noch nicht eingetreten. Er war erst kurz zuvor gestorben. Woran?
    Sich nur allzu bewußt, wie gefährlich es war, keinen Handschuh anzuhaben, und wie wichtig, nichts zu berühren, streifte Hero rasch seinen Handschuh wieder über.
    Die Lippen waren blau und die Wangen und die Stirn Cryders aschfahl, was auf einen Sauerstoffmangel hindeutete, der durch Ersticken bewirkt worden war oder durch gewisse Formen eines Herzanfalls. War Paul Cryder, nachdem er das Licht ausgemacht hatte, einer Embolie erlegen, hatte der Tod ihn so plötzlich und überraschend überfallen, daß er nicht einmal mehr das nur zwei Zimmer entfernte, schlafende Mädchen hatte rufen können?
    Das schlafende Mädchen? Hero lief es eiskalt den Rücken hinunter, und aus allen Poren brach ihm der Schweiß. Es war diese unheimliche Stille, in der nicht einmal ein Seufzer zu hören war oder das Knirschen eines Bettes, wenn ein Körper sich bewegt, die ihn so erschreckte. Er beugte sich über Paul Cryders Leiche und betrachtete sie genauer. Auf der Brust genau unter dem Kinn war ein ovaler heller Fleck. Er beugte sich noch tiefer und roch vorsichtig am Mund des Toten. War es ein Geruch von bitteren Mandeln, oder bildete er sich das nur ein?
    Er richtete sich wieder auf, und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. Er knipste die Taschenlampe aus und schlich sich aus dem Zimmer, ging leise durch den Salon und blieb einen kurzen Augenblick an der Tür stehen, ehe er Tinas Zimmer betrat und dort das fand, was er schon zu finden erwartet hatte.
    Sie lag, auf die gleiche Weise umgebracht, tot im Bett. Ihr Haar im

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