Die Hand
einzuweihen. Auch jetzt arbeitet er wieder kräftig mit mir, nachdem Sie ihm ein Rätsel aufgegeben haben.
Aber dennoch besitze ich das, was man als gute Nase bezeichnet. Dazu kommt ein ausgeprägtes Gefühl, daß sich in der Umgebung von Wilkesham irgend etwas Ungesetzliches abspielt, obwohl ich nicht zu sagen vermag, um was es sich handelt. Auch schließe ich die Möglichkeit ein, daß ich mich irre. Schon aus diesem Grund würde ich nie die örtliche Polizeistation auf suchen.
Wie Sie sicher von Dicki wissen, bin ich ein Freund der Nacht. Nächtliche Spaziergänge waren für mich von jeher die Krönung des Tages. Daran hat sich auch nichts geändert, seit ich von London nach Wilkesham gezogen bin. Nur mache ich meine Spaziergänge hier manchmal auf dem Wasser, am liebsten bei klarem Himmel. Ich fahre dann mit meinem Kutter etwa eine Meile weit ins Meer hinaus und lasse mich dann ohne Motor einfach treiben und sehe mir den Sternenhimmel an.
Manchmal begleitet mich auch mein Freund Ilias Spiriodakis, der schon ein Freund meines Bruders gewesen ist. Vor etwa zwei Wochen fuhren wir auch hinaus. Es war gegen Mitternacht, der Mond schien, und Ilias erzähle mir von seinen Zinnsoldaten, seinem Lieblingsthema…“
Perry Clifton las mechanisch weiter, während er sich im Geiste die Szene auf dem Meer vorstellte, die William Miller in seinem Brief so anschaulich schilderte...
In Gedanken war er auf Großvater Millers Kutter auf dem Meer vor Wilkesham, er fühlte sich so auf das Boot versetzt, das im Meer dahintrieb, daß er glaubte, bei Ilias Spiriodakis und William Miller gegenwärtig zu sein. Daß es nur ein Brief war, hatte er ganz vergessen. Ilias Spiriodakis sagte: „...und einmal, ich lebte damals noch auf Korfu, erzählte mir jemand, daß in einem Hotel in Kerkyra eine Italienerin abgestiegen sei, die in ihrem Reisegepäck Zinnsoldaten als Talisman mit sich führte. So schnell bin ich nie wieder nach Kerkyra gerannt. Und tatsächlich, die Signora war Sammlerin wie ich. Die drei schönsten Stücke ihrer Sammlung führte sie ständig mit sich. Einen Napoleon, einen preußischen Grenadier und das Schiff von Christoph Kolumbus, die Santa Maria. Du kannst dir vorstellen, wie mein Herz vor Freude einen Sprung machte und ich unbedingt...“
„Sei mal still“, unterbrach ihn Großvater Miller, aber Ilias war in seinem Redefluß nicht zu stoppen.
„...und ich unbedingt diese Dinger haben wollte. Aber die Signora war unglaublich hartnäckig und wollte...“
Die See war ganz ruhig. Nur sehr sanft bewegten sich die Wellen und plätscherten leise, wenn sie sich an den Wänden des Kutters brachen. Das Mondlicht zauberte einige helle Flächen auf das schwarze Wasser und verlor sich schnell in der unergründlichen Tiefe des Meeres. „Still“, sagte William Miller noch einmal, und diesmal unterbrach der Grieche seine Erzählung, die William Miller übrigens schon auswendig kannte.
„Hörst du das auch, Ilias? Da ist ein Schiff gar nicht so weit weg, aber ich kann es nicht sehen.“
Ilias Spiriodakis lauschte. Ja. Jetzt vernahm auch er das leise Tuckern eines Motors.
„Tatsächlich, da ist ein Boot. Aber warum sehen wir keine Positionslichter? Es ist doch eine klare Nacht?“
„Ich glaube, es fährt ohne Licht“, sagte William Miller nachdenklich.
„Ohne Licht. Aber das ist doch verboten. Kennen die denn das internationale Seerecht nicht?“
Beide horchten jetzt angestrengt in die Nacht hinaus. Kein Zweifel. Da draußen war ein Boot unterwegs, das ohne Lichter fuhr. Wollten die Leute auf dem Schiff unerkannt bleiben?
Das Nächstliegende war, daß hier im Schutz der Nacht etwas geschmuggelt wurde. Aber was? Schmuggel hatte in dieser Gegend eine jahrhundertealte Tradition, und auch heute gab es hier noch Männer, die davon lebten, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben. Was für den Urgroßvater schon ein Beruf war, konnte schließlich für den Urenkel nicht plötzlich etwas Unrechtes sein.
„Da, das Geräusch ist weg“, bemerkte William Miller nun.
„Er parkt“, stellte Ilias fest, worauf Großvater Miller entsetzt, als würde seinem Ohr Schmerzliches zugefügt, den Kopf einzog.
„Herrgott noch mal, Grieche. Du kannst einen mit deinen Bemerkungen regelrecht verprügeln. Wie oft habe ich dir schon gesagt, auf dem Wasser parkt man nicht, da gibt es auch keine Parkuhren, sondern Bojen. Auf dem Wasser ankert man. Und so was wie du kommt von einer Insel.“
Ilias grinste verschmitzt von einem Ohr
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