Die Hand
will, daß du nachkommst. Aber weißt du was? Dann fahre ich schon morgen los. Ich rufe gleich Mister Miller an. Von Scott Skiffer will ich mich auch noch verabschieden. Ich fürchte, er muß mit seinem Fall allein fertig werden. Hilfst du mir nachher gleich beim Packen, Julie? Ich will morgen schon ganz früh weg.“
Perry Clifton war aufgeregt wie sonst nur Dicki Miller, denn diese mysteriösen Vorgänge könnten ja Bedeutung gewinnen. Seine Gedanken blieben bei dem Brief, und ein ungewisses Gefühl ordnete diese Vorfälle zu einem komplexeren Geschehen.
„Ich habe noch nie gehört, daß jemand Pferde schmuggelt.“
„Ich auch nicht, Julie. Aber müssen es denn Pferde sein?“
„Meine Güte, du glühst ja förmlich vor Jagdfieber“, bemerkte Julie. „Na, dann laß uns mal packen.“
Mittwoch, 30. Juli.
Es war erst sechs Uhr früh, als sich der Warenhausdetektiv Perry Clifton in Norwood in seinen Wagen setzte und sich auf den Weg nach Wilkesham machte. Dicki würde staunen, wenn sein Freund plötzlich auftauchte, den er tausend Kilometer weiter südlich in London glaubte. Perry Clifton pfiff vergnügt vor sich hin.
Auf den Straßen war um diese Zeit noch wenig Verkehr. Gegen zehn Uhr passierte Perry Clifton bereits Sheffield.
Am Londoner Piccadilly Circus, seinem bevorzugten Jagdrevier — der vielen Touristen wegen war um diese Zeit mit flinken Bewegungen ein Mann auf der Pirsch. Es war kein anderer als der kleine Taschendieb Colin Shapton. Nach seinem Erlebnis mit der Phantombande und den damit verbundenen äußerst unangenehmen Gefühlen kehrte er per Anhalter nach London zurück. Dabei hatte ihn nicht einmal gestört, daß er 23 Kilometer weit zwischen neun Schweinen Platz nehmen mußte. Der Bauer, der ihn mitnahm, hatte vorn im Wagen noch seine Frau und zwei Kinder sitzen und somit keinen Platz für Colin Shapton mehr übrig.
„Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, hinten reinzusteigen“, hatte der Mann trocken gesagt. „Sind alles feine Zuchtsauen.“
Der Taschendieb ließ sich nicht lange bitten. Lieber ein paar Schweine als Gesellschaft als die Phantombande. Die Säue begrunzten ihn freudig als einen der ihren. Anscheinend war sein Geruch für sie äußerst angenehm und vertraut. Colin Shapton hatte auch schon lange nicht mehr gebadet.
Jetzt, am Piccadilly Circus, war er kaum wiederzuerkennen. Seine dürre, kleine Gestalt steckte in einem weißen Anzug. Aus der oberen Jackentasche lugte ein weinrotes Tuch, passend zu dem Seidentuch, das er um den Hals trug.
Seit zwanzig Minuten schlenderte Colin Shapton hinter seinem Opfer her, das er sich ausgesucht hatte. Es handelte sich unzweifelhaft um eine Amerikanerin. Die karierten Shorts der mittelalterlichen, etwas dicklichen Dame hatten Shapton dies sofort vermuten lassen.
Die Frau befand sich in Gesellschaft zweier Freundinnen, mit denen sie unaufhörlich plapperte. „Wer sich soviel zu erzählen hat“, dachte der Taschendieb, „achtet wohl nicht so sehr auf seine Handtasche.“ Und in Sachen Damenhandtaschen war Colin Shapton Experte. Er war stolz auf seine Fingerfertigkeit. Auch als Taschendieb hatte man schließlich eine Berufsehre.
Colin Shapton hatte es nicht eilig. War ein Opfer mal ins Auge gefaßt, mußte es langsam eingekreist werden, um im geeigneten Augenblick blitzschnell von ihm ausgeplündert zu werden.
Weitere zehn Minuten später schien dieser geeignete Moment gekommen. Die drei Freundinnen interessierten sich für die Auslage eines Schuhgeschäfts und schienen völlig in diesen Anblick versunken zu sein. Der Taschendieb peilte blitzschnell die Lage. Menschen gingen zielstrebig an dem Geschäft vorbei, jeder sah nur stur geradeaus, andere führten eifrige Gespräche, die sie mit den notwendigen Gesten akzentuierten. Lässig postierte sich Colin Shapton hinter den drei Frauen, so geschickt, daß er nur die Hand auszustrecken brauchte, um an die Handtasche „seiner Amerikanerin“ heranzukommen, was er auch tat.
Der Taschendieb war nur noch vollste Konzentration. Nervosität kannte er in solchen Momenten nicht. Die Tasche zuckte nicht einmal, als er mit einer einzigen Bewegung von Zeige- und Mittelfinger den Verschluß öffnete. Schlangengleich glitten seine Finger in das Innere der Tasche — um dann ruckartig und gar nicht professionell zurückzuzucken.
„Gib mir doch bitte mal ein Taschentuch, Conny, Liebste“, sagte nämlich in diesem Moment die Dame daneben und wandte den Kopf, wobei sie zu ihrer Überraschung in
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