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Die Hand

Die Hand

Titel: Die Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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Jetzt war es kurz nach halb sechs.
    Zur gleichen Zeit erreichten Dicki, sein Großvater und Perry Clifton, die zum Silvercross-Haus unterwegs waren, den Scheitelpunkt der Straße, von dem sich ein unvergleichlich schöner Ausblick über das Tal, den Strand und das Meer bot.
    Das Tal öffnete sich ihnen in den schillerndsten Farben, ständig gebrochen durch die rasenden Wolken. Wasser und Wind versetzten die Bucht in Schwingungen. Weit draußen schaukelte ein kleines Boot auf den Wellen. Wenn man seinen Blick an irgendeinem Felsvorsprung festhielt, kristallisierte sich eine Figur heraus. Jeder Augenblick ließ einen die Natur auf andere Weise entdecken. Als Mensch steht man diesem Schauspiel verliebt und doch respektvoll gegenüber.
    Alle drei schwiegen eine Zeitlang. Weit hinten stand die Sonne als glühend rote Scheibe nur noch knapp über dem Wasser, was Dicki nun doch zu einer Bemerkung veranlaßte: „Bin gespannt, ob der Franzose die Sonne auch blau malt. Dem trau’ ich alles zu.“
    Der Wohnwagen des Malers stand rund vierzig Meter von ihnen entfernt. Reg Stewart, er war natürlich der Maler, hatte die drei in diesem Moment bemerkt. „Die haben mir noch gefehlt“, dachte er verärgert. Laut und mit französischem Akzent aber rief er: „Na, gefällt Ihnen die Aussicht auch?“
    Die drei betrachteten das als Aufforderung, näher zu kommen, und Perry Clifton antwortete: „Wunderbar. Ganz wunderbar. Ich kann gut verstehen, warum Sie Ihren Wohnsitz hier oben genommen haben. Haben Sie etwas dagegen, wenn wir Ihnen einen kleinen Besuch abstatten?“
    „Im Gegenteil. Ich liebe Besuch“, kam es von dem Maler zurück. Was seine Bilder betraf, war Reg eitel genug, Bewunderer nicht abzuweisen.
    Der älteste der drei Besucher kam ihm bekannt vor, und er wandte sich an Großvater Miller: „Hallo, haben wir uns nicht schon mal gesehen?“
    „Richtig. Ich wohne in Wilkesham. Ich war mit meinem Enkel“ — er nickte in Richtung Dicki — „schon einmal hier. Wir wollten Sie aber nicht stören und sahen Ihnen nur aus einiger Entfernung beim Malen zu.“
    Übertrieben spielte Reg seine Rolle. „Kommen Sie näher, ergötzen Sie sich am Anblick dieses berauschenden Schauspiels. Lassen Sie sich inspirieren vom Widerhall der Elemente.“ Er stand vor seiner Staffelei und wiegte den Körper wie ein Dirigent.
    „Meine Bilder gefallen Ihnen?“ Reg Stewart war ernsthaft an Perry Cliftons Urteil interessiert. Der schluckte einmal krampfhaft, während Dicki sich halb abwandte, damit niemand sein Grinsen bemerkte.
    „Recht eigenwillige Kompositionen. Das muß ich sagen. Ich sehe, Sie haben eine Vorliebe für das Meer?“ Reg Stewart war jetzt Feuer und Flamme. Einen Moment lang vergaß er ganz, aus welchen Beweggründen er hier tatsächlich sein Quartier aufgeschlagen hatte. „Ich liebe das Meer. Hier ist es fast so schön wie bei mir zu Hause in der Bretagne.“
    „Arbeiten Sie schon lange hier?“
    „Vier Wochen, fünf Wochen. Ich zähle die Tage nicht, wenn ich male.“
    Reg Stewart war jetzt ganz Künstler. „Was ist schon Zeit?“
    Perry deutete auf die aufgestellten Bilder: „Ich sammle Gemälde mit Meeresmotiven. Würden Sie mir ein Bild verkaufen?“
    „Gerne, wenn sie Ihnen wirklich gefallen. Aber bevor ich verkaufe, müssen Sie meine Bilder bei reinem, leuchtendem Tageslicht betrachten.“
    „Einverstanden. Ich werde mich morgen bei Ihnen sehen lassen — falls es nicht gerade regnet.“
    Als sie sich voneinander verabschiedeten, konnte sich Dicki eine letzte Bemerkung gegenüber dem Maler nicht verkneifen: „Sagen Sie bitte, haben Sie gerade Ihre blaue Phase?“
    Gott sei Dank bemerkte Reg Stewart die Ironie nicht. „Stimmt. Du bist ein kluger Junge.“
    „Wenn ich nur darauf käme, woran mich die Bilder dieses Franzosen erinnern“, fragte sich Perry wiederholt.
    Leider wurde Perry Clifton gerade in dem Moment, als er einen flüchtigen Gedanken festhalten wollte, von William Miller unterbrochen, der plötzlich zu lachen anfing: „Ha, haha, Dicki hat den Nagel eigentlich auf den Kopf getroffen. Blaue Phase. Sehr gut. Haha. Die Dinger sehen tatsächlich so aus, als hätte sie ein Betrunkener gemalt. Haha...!“
    Dicki fiel in das fröhliche Gelächter mit ein, bis auch Perry davon angesteckt wurde. Sie lachten bis kurz vor dem Silvercross-Haus, weshalb Perry beinahe überhört hätte, was Großvater Miller ganz beiläufig von sich gab, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt: „Aber Franzose

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