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Die Hand

Die Hand

Titel: Die Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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Licht des riesigen mit Kerzen bestückten Lüsters (genau waren es 74 Stück) an der Decke ließ die Rüstung glänzen wie rotes Gold. Dickis Augen hatten sich in ehrfürchtigem Staunen regelrecht daran festgesaugt. Perry Clifton registrierte noch sieben kleine Marmortischchen, auf denen wunderbare Antiquitäten dicht gedrängt plaziert waren: Kristallschalen, Tabaksdosen, goldene Uhren, zartes Porzellan, zerbrechliche chinesische Tischparavents, Symbolfiguren aus aller Welt. Ihm fiel bei diesem Anblick Julie ein. Die würde sofort zu handeln beginnen, wenn sie diese Pracht zu Gesicht bekäme.
    „Meine Herren, nehmen Sie doch bitte Platz“, ließ sich plötzlich die Stimme Dr. Stanleys vernehmen, der aus einer Tür neben Perry Clifton ins Zimmer trat.
    Dr. Stanley war ein großer Mann und hatte ein würdiges, sicheres Auftreten. Er strahlte etwas aus, das Dicki Vertrauen einflößte.
    Großvater Miller war sich nicht schlüssig, wohin er sich drapieren sollte. Von zu Hause aus nur gewöhnliche Sitzgelegenheiten, wie zum Beispiel ein Sofa, in dem man, wie man weiß, sofort tief einsank, gewöhnt, verunsicherten ihn die noblen Möbel hier. Hätte er nicht schon gesessen, wäre er wohl auf einen Stuhl gesunken bei dem, was Dicki Miller jetzt einfiel. Der krähte nämlich los: „Bitte, darf ich mich in den großen Lehnstuhl da vorne setzen?“
    Im selben Augenblick, erschrocken über seine Kühnheit, schlug Dicki schnell eine Hand vor seinen vorlauten Mund, wurde aber von Dr. Stanley gerettet, der milde lächelnd sagte: „Aber ja, setz dich ruhig hin, wo du willst. Aber das ist kein Lehnstuhl. Dort pflegte Sir Selwyn Atterford zu speisen, so wie die ganze Einrichtung in diesem Raum noch genauso ist wie zu seinen Lebzeiten.“
    „War das der Vorbesitzer?“ fragte Perry Clifton, der sich wie Großvater Miller nun ebenfalls gesetzt hatte.
    „Ja. Früher, so hat man mir berichtet, hieß das Silvercross-Haus Atterford-Castle. Die Einrichtung so zu belassen, ist übrigens eine Auflage des Amtes für Denkmalschutz in Edinburgh. Ich lebe hier gewissermaßen in einem Museum mit Wohnrecht. Mir selbst gehört kein Stück von all diesen wundervollen Gegenständen hier. Leider.“
    Dicki hatte nur halb zugehört. Er bereute seinen vorschnellen Entschluß schon wieder. Von diesem verflixten Stuhl konnte er ja kaum über die Tischplatte gucken, dabei war er für sein Alter wirklich nicht gerade klein. Er versuchte, sich mit den Ellenbogen an den Lehnen unauffällig hochzustemmen, gab aber gleich wieder mit einem leisen Seufzer auf. Das war auf die Dauer zu anstrengend.
    William Miller stellte Perry Clifton wieder vor, diesmal allerdings nur als guten „Bekannten aus früherer Zeit“, wenn er auch den Sinn von Cliftons Vorsicht nicht verstand. Dann wandte er sich an Dr. Stanley: „Ich hoffe, Sie sind nicht ungehalten, daß wir Sie noch zu so später Stunde stören, Doktor.“
    „Aber, aber“, Dr. Stanley zeigte sich als liebenswürdiger Gastgeber. „Was heißt schon späte Stunde und stören. Es ist ja noch nicht einmal sieben Uhr. Erstens gehe ich ohnehin selten vor ein Uhr ins Bett, und zweitens lasse ich mich ganz gern mal stören. Darf ich Ihnen übrigens etwas anbieten? Ich vergaß ganz, danach zu fragen.“ Perry Clifton und William Miller verneinten und enttäuschten damit Dicki Miller, der ganz gerne ein kühles Glas Obstsaft getrunken hätte. Er traute sich nur nicht zu fragen, um nicht wieder als vorlaut zu gelten. Er ahnte, daß sein Maß darin nach dem Besuch bei dem Maler und der vorherigen Geschichte mit dem „Lehnstuhl“ erschöpft war. Wenigstens für heute.
    „Ich... wir sind eigentlich nur gekommen, um Sie über eine ungewöhnliche Beobachtung zu informieren“, setzte Mister Miller den Doktor über den Grund des Besuches in Kenntnis.
    „Um was geht’s denn?“
    „Um Ihr Kajütboot.“
    „Mein Kajütboot? Ist was damit?“
    „Sie haben es zur Zeit nicht ausgeliehen?“
    „Aber wo denken Sie hin, Mister Miller. Es ist drüben in der Silvercross-Bucht festgemacht. Was bedeuten diese Fragen?“ Dr. Stanley hatte sich wieder völlig in der Gewalt, als sich Perry Clifton nun einmischte. „Mister Miller befürchtet, daß sich Unbefugte Ihr Boot für Schmuggelfahrten angeeignet haben könnten...“
    „Ja, und Mister Clifton meinte, da sollte ich Ihnen Bescheid sagen“, ergänzte Mister Miller.
    Dr. Stanley war immer weniger erbaut von dem, was er da erfuhr. Er dachte an die Männer, die jetzt bei ihm

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