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Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number

Titel: Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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ihrem Wunsch nach dem Leben auf dem Land gefügt, um sie für all die Jahre zu entschädigen, in denen sie als Frau eines Polizisten immer nur die zweite Geige gegenüber der Arbeit gespielt hatte. Sie liebte Wälder, Berge, Wiesen und weite Landschaften. Er hatte das Gefühl, ihr eine neue Umgebung, ein neues Leben zu schulden, und er war davon ausgegangen, dass er sich an alles anpassen konnte. Aus Stolz oder vielleicht aus Selbsttäuschung. Möglicherweise wollte er
auch durch eine große Geste seine Gewissensbisse loswerden. Eigentlich ziemlich dumm. Denn in Wahrheit hatte er sich überhaupt nicht gut eingewöhnt. Er war nicht so flexibel, wie er naiverweise angenommen hatte. Er war hier am Arsch der Welt gelandet, und auf der Suche nach etwas Sinnvollem für sich selbst an dieser einsamen Stätte griff er immer wieder instinktiv auf Verfahren zurück, die er beherrschte - vielleicht so gut, dass sie umgekehrt ihn beherrschten. Zum Beispiel die verdammten Vögel. Er hatte es geschafft, aus dem Vorgang des Beobachtens und Erkennens eine Überwachung werden zu lassen. Machte sich Notizen über ihr Kommen und Gehen, über Gewohnheiten, Fressverhalten, Flugeigenschaften. Ein anderer hätte darin vielleicht eine neu gefundene Liebe zu diesen kleinen Geschöpfen vermutet. Aber das war es nicht, überhaupt nicht. Es war keine Liebe, sondern Analyse. Ein Nachforschen.
    Entschlüsseln.
    Meine Güte, war er wirklich so engstirnig?
    War er so borniert - so kleinkariert und starr - in seiner Lebenshaltung, dass er Madeleine vielleicht nie würde zurückgeben können, was ihr durch seine bedingungslose Hingabe an die Arbeit entgangen war? Und wenn er schon dabei war, schmerzliche Möglichkeiten in Betracht zu ziehen: Vielleicht hatte er mehr wiedergutzumachen als ein übertriebenes berufliches Engagement?
    Genauer gesagt nur eine andere Sache.
    Die Sache, über die sie so schwer miteinander reden konnten.
    Der kollabierte Stern.
    Das schwarze Loch, dessen furchtbare Schwerkraft ihre Beziehung aus der Bahn geworfen hatte.

8
    Hammer und Amboss
    Am Nachmittag verschlechterte sich das strahlende Herbstwetter. Die Wolken, die sich am Morgen noch als klischeehafte kleine Baumwolltupfen am Himmel gezeigt hatten, wurden dunkler. So weit entfernt, dass man die Richtung nicht ausmachen konnte, war ein warnendes Donnergrollen zu hören - eher wie eine ungreifbare Präsenz in der Atmosphäre als die Begleiterscheinung eines bestimmten Gewitters. Ein Eindruck, der sich noch verstärkte, als es stundenlang anhielt, ohne näherzukommen oder sich zu verziehen.
    Am Abend fuhr Madeleine mit einer neuen Bekannten aus Walnut Crossing zu einem Konzert in der Gegend. Sie rechnete nicht damit, dass Gurney mitkommen würde, und so hatte er auch kein schlechtes Gefühl bei seinem Entschluss, zu Hause zu bleiben und seiner künstlerischen Beschäftigung nachzugehen.
    Bald nach ihrem Abschied saß er vor dem Computerbildschirm und betrachtete das Verbrecherfoto von Peter Possum Piggert. Bisher hatte er nur die Grafikdatei importiert und dem neuen Projekt den läppisch-putzigen Titel Ödipus Ratlos gegeben.
    In Sophokles’ Version des alten griechischen Stoffs tötet Ödipus einen Mann, der sich später als sein Vater entpuppt, heiratet eine Frau, die sich später als seine Mutter
entpuppt, zeugt zwei Töchter mit ihr und stürzt alle Beteiligten in tiefes Elend. In Freuds Psychologie ist diese Sage ein Symbol für die Entwicklungsphase im Leben eines männlichen Kindes, in der dieses die Abwesenheit (das Verschwinden, den Tod) seines Vaters wünscht, um ganz allein in den Genuss der mütterlichen Zuneigung zu kommen. In Peter Possum Piggerts Fall waren aber weder Versehen noch Symbolik im Spiel. Peter wusste genau, was er tat, als er mit fünfzehn seinen Vater tötete, eine Beziehung mit seiner Mutter begann und zwei Töchter mit ihr zeugte. Doch damit war es noch nicht vorbei. Fünfzehn Jahre später ermordete er seine Mutter bei einem Streit über den sexuellen Kontakt zu seinen damals dreizehn und vierzehn Jahre alten Töchtern.
    Gurneys Arbeit an dem Fall begann, nachdem die halbe Leiche von Mrs. Iris Piggert im Rudermechanismus eines am Hafen von Manhattan festgemachten Linienschiffs entdeckt worden war, und endete mit der Verhaftung Peter Piggerts in einem Wüstenlager »traditioneller« Mormonen in Utah, wo er als Ehemann seiner beiden Töchter lebte.
    Trotz seiner grausigen Verbrechen blieb Piggert bei allen Verhören und im Lauf des gesamten

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