Die Hassliste: Roman (German Edition)
an, irgendeinen Song, den ich nicht kannte. Die andern vier sprangen sofort auf und tanzten dazu, redeten über die Musik hinweg und quietschten und quiekten in einer Tonlage, zu der meine Stimmbänder gar nicht imstande waren. Ich saß auf dem Bett und schaute ihnen zu, mit einem Lächeln, das mir wie von selbst ins Gesicht gerutscht war. Wenn ich mein Notizbuch dabeihätte, überlegte ich, könnte ich jede von ihnen zeichnen, und zwar ganz genau so, wie sie in diesem Moment war. Bei diesem Gedanken fühlte ich mich endlich wieder wie in der Realität.
Nach einer Weile klopfte Jessicas Mutter an die Tür, öffnete sie nur einen Spaltbreit und lächelte mit perfekten Zähnen ihr Lächeln, das wie aufgemalt wirkte. Das Abendessen sei fertig, meinte sie, also gingen wir nach unten, wo auf der Küchentheke Pizzen standen. Drei verschiedene Sorten, alle selbst gebacken. Der Rand war genau auf die richtige Weise knusprig. Das Gemüse obendrauf war weder zu weich noch zu hart und der Fleischbelag perfekt gegart. Den Rand der Pizzen hatte sie mühevollmit Knoblauchbutter und Käse gefüllt. Sie sahen fast zu perfekt zum Essen aus.
Unwillkürlich fragte ich mich, was wohl aus Jessicas Mutter geworden wäre, wenn ich mich nicht zwischen Nick und Jessica geworfen hätte. Wenn sie ihr süßes kleines Mädchen verloren hätte. Würde sie dann immer noch perfekte Pizzen backen, den Küchentisch mit Schalen voller Zitronen dekorieren und Kerzen mit Vanilleduft anzünden? Sie wirkte nicht wie jemand, der es in Ordnung fand, wenn auf Leuten herumgehackt wurde. Wusste sie, dass Jessica mich früher
Todesschwester
genannt hatte? War sie enttäuscht von ihr, weil sie das getan hatte? Enttäuscht von sich selbst, weil das Kind, das sie erzogen hatte, so etwas tat? Und wie hätte sie reagiert, wenn sie meine Mutter wäre? Was hätte sie wohl schwerer verkraftet – den Tod ihrer Tochter oder die Tatsache, dass ihre Tochter möglicherweise auf andere geschossen hatte?
Nach dem Essen quetschten wir uns alle in Jessicas Auto und fuhren los. Ihre Mutter winkte uns von der Haustür aus zu, als wären wir Vorschulkinder, die zum ersten Mal einen Ausflug machten. Die Fahrt hinaus zu Alex dauerte lange und führte über Schotterstraßen. Nach einer Weile erkannte ich nichts mehr um mich herum – wir waren über winzige Nebenstraßen gefahren, von denen ich nie gedacht hätte, dass es sie in der Umgebung von Garvin überhaupt gab.
Alex wohnte in einem riesigen Backsteinhaus, das verborgen hinter einem Wäldchen von Holzapfelbäumen lag. Im Haus selbst brannte kein Licht und im Finstern sah es irgendwie unheilvoll aus, obwohl die Auffahrt mit zig Autos zugeparkt war.
Direkt hinter der Auffahrt führte ein großes, weit geöffnetes Gatter zu einer Wiese. Jessica fuhr durch das Gatter hindurch aufs Gras. Vor uns sah es aus wie auf einem Parkplatz, es wimmelte von Leuten, als käme ganz Garvin zu dieser Party. Jessica stellte ihr Auto neben den anderen ab. Kaum waren wir aus dem Wagen geklettert, hörten wir links von uns dröhnende Bässe. Vor uns lag die Scheune. Durch die weit aufgeklappten Torflügel blitzten wirbelnde bunte Lichter nach draußen auf die Wiese.
Über die Musik hinweg hörten wir Gelächter und die quiekenden Schreie von Mädchen, aber trotz allem hörte man auch noch die Geräusche, die man auf einer Farm erwarten würde: einen Hund, der ein ganzes Stück weit weg bellte, ab und zu das Muhen einer Kuh, quakende Frösche in einem Teich in der Nähe.
Jessica, Meghan, McKenzie und Cheri stürmten sofort auf die Scheune zu, plapperten dabei aufgekratzt und wiegten die Hüften im Rhythmus der Musik. Zögernd folgte ich ihnen, auf den Lippen kauend, mit klopfendem Herzen und Beinen wie aus Blei.
Drinnen in der Scheune war es gerammelt voll und in dem Gedränge verlor ich Jessica und die andern irgendwie. Ich schob mich durch die Menge, so gut ich konnte, und landete schließlich neben einem riesigen Metallkübel voller Eis und Flaschen. Hauptsächlich war Bier darin, aber nach einigem Herumkramen fand ich auch etwas ohne Alkohol und zog es heraus. Seit Nicks Tod hatte ich keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken und ich wusste nicht, ob ich damit klarkommen würde.
»Willst du nicht lieber so eins?«, rief mir jemand vonhinten zu. Ich drehte mich um und sah Josh vor mir stehen, der ein Bier in der Hand hielt. »Das ist hier schließlich eine Party, Mann.«
Er machte einen Schritt nach vorne, nahm mir die Limonadenflasche aus
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