Die Hassliste: Roman (German Edition)
würde, die euch Kindern das Herz bricht. Ich fand einfach, er müsste euch selbst beibringen, was er vorhat – mit einem Mädel von zwanzig Jahren zusammenzuziehen. Ich mach nicht mehr die Drecksarbeit für ihn. Ich hab es satt, immer die Böse zu sein.«
»Ist Frankie okay?«, fragte ich.
»Nein. Er ist auch nicht aus seinem Zimmer rausgekommen. Und jetzt hab ich Angst, dass ich noch ein Kind kriege, das in Schwierigkeiten steckt, und ich weiß nicht … ob ich das aushalte … allein …« Ihre Stimme ging in einer Flut von Tränen unter, so plötzlich und so schmerzerfüllt, dass es mir selbst die Tränen in die Augen trieb. Wenn draußen jemand vorbeigegangen wäre und dieses Weinen gehört hätte, wäre er davon überzeugt gewesen, dass Mom gerade alles verloren hätte, was sie jemals imLeben besaß. Ich fragte mich, ob sie sich wohl fühlte, als wäre das wirklich passiert.
»Frankie ist ein guter Junge, Mom«, sagte ich. »Und seine Freunde sind auch okay. Er wird nicht …« –
so wie ich
, lag mir auf der Zunge, aber plötzlich schämte ich mich und sagte stattdessen: »… na ja, er kommt garantiert nicht in Schwierigkeiten.«
»Das hoffe ich«, sagte sie. »Ich krieg meistens kaum in den Griff, was mit dir so los ist. Ich bin doch nur
ein
Mensch. Ich kann nicht dauernd alle andern tragen.«
»Du musst mich nicht mehr tragen«, sagte ich. »Mit mir ist alles in Ordnung, Mom, ehrlich. Dr. Hieler findet, dass ich gute Fortschritte mache. Ich nehme Stunden bei Bea. Und ich arbeite bei diesem Projekt vom Schülerrat mit.« Auf einmal überwältigte mich das Bedürfnis, etwas wiedergutzumachen in der Seele meiner Mutter. Auf einmal war ich von Mitgefühl überwältigt – einem Mitgefühl, von dem ich geschworen hätte, dass ich es niemals wieder aufbringen würde. Auf einmal wollte ich diejenige sein, die ihr Hoffnung gab. Ich wollte ihr South Dakota zurückgeben. »Ich hab dich sogar fragen wollen, ob ich am nächsten Wochenende zu einer Übernachtungsparty bei Jessica Campbell darf.« Meine Kehle fühlte sich eng an.
»Meinst du dieses blonde Mädchen, das ab und zu herkommt?«
»Ja. Sie ist Schülersprecherin und spielt im Volleyballteam mit. Sie ist echt in Ordnung. Wir essen mittags jeden Tag zusammen. Wir sind Freundinnen.«
»Oh, Val«, sagte sie mit schwerer, belegter Stimme. »Bist du sicher, dass du das willst? Ich hab gedacht, du hasst solche Mädchen.«
Meine Stimme stieg um eine Oktave in die Höhe. »Nein, echt, Mom. Das ist die, vor die ich mich geworfen habe. Ich hab ihr das Leben gerettet. Ich hab sie gerettet. Und jetzt sind wir Freundinnen.«
Wieder war es lange still. Mom schniefte noch ein paarmal, ein so trübsinniges Geräusch, dass es mir fast den Atem nahm. »Manchmal vergesse ich das«, sagte sie und ihre Stimme spann sich durch die Dunkelheit herüber zu mir. »Manchmal vergesse ich, dass du auch eine Heldin gewesen bist an diesem Tag. Dann sehe ich nur das Mädchen, das diese Liste von allen Leuten angelegt hat, denen sie den Tod wünscht.«
Ich widerstand dem Impuls, sie zu korrigieren.
Ich hab diesen Leuten nicht den Tod gewünscht
, wollte ich sagen.
Und du hättest überhaupt nie von der Liste erfahren, wenn Nick nicht durchgedreht wäre. Nick ist durchgedreht, nicht ich! Nicht ich!
»Manchmal hab ich so damit zu tun, dich als Feindin zu sehen, die mein Familienleben zerlegt hat, dass ich alles andere ganz vergesse – dass du diejenige gewesen bist, die das Ganze beendet hat. Du hast das Leben von diesem Mädchen gerettet. Ich hab dir noch nie Danke dafür gesagt, oder?«
Ich schüttelte verneinend den Kopf, obwohl sie mich nicht sehen konnte. Ich hatte aber den Verdacht, dass sie es, wie ich, in der Luft spürte.
»Ist sie denn wirklich deine Freundin?«
»Ja. Ich mag sie total gern.« Und das war die Wahrheit, wie ich beinahe schockiert feststellte.
»Dann solltest du hingehen. Du solltest mit deiner Freundin zusammen sein und Spaß haben.«
Mein Magen stolperte. Ich war mir überhaupt nicht sicher, ob ich das konnte – Spaß haben mit diesen Leuten. Ihre Vorstellung von Spaß war total anders als alles, was ich je gekannt hatte.
»Sie wissen ja wahrscheinlich, dass mein Dad ausgezogen ist«, sagte ich und musterte Dr. Hielers Bücherregal, während er im Sessel seine übliche Haltung einnahm: ein Bein über die Lehne gelegt, den rechten Zeigefinger versonnen an die Unterlippe gelegt.
»Deine Mutter hat’s mir erzählt«,
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