Die Hassliste: Roman (German Edition)
allen beweisen, dass du dich nicht zu verstecken brauchst. Du wolltest das hier, jetzt hast du’s. Das ist die Mittagspause, weiter nichts. Bring sie einfach hinter dich. Auf dem Weg nach draußen guckte ich nur auf mein Tablett und den Fußboden vor mir.
Gleich außerhalb der Cafeteria lehnte ich mich mit dem Rücken gegen eine Wand, ließ den Kopf zurücksinkenund schloss die Augen. Ich stieß einen langen Atemzug aus. Ich schwitzte, aber dort, wo meine Hände das Tablett berührten, wurden sie immer kälter. Ich hatte überhaupt keinen Hunger und wünschte mir nur, dieser Tag wäre endlich vorbei. Langsam ließ ich mich nach unten gleiten und stellte das Tablett vor mir auf dem Boden ab. Ich stützte die Ellbogen auf die Knie und verbarg meinen Kopf in den Händen.
Innerlich zog ich mich dorthin zurück, wo ich mich sicher fühlte: zu Nick. Ich erinnerte mich daran, wie ich in seinem Zimmer mit dem Joystick seiner Playstation auf dem Boden saß und ihn anbrüllte: »Lass mich nicht gewinnen, du Idiot. Verdammt, Nick, du lässt mich doch extra gewinnen. Hör auf damit!«
Und er machte, was er immer tat, wenn er fies wirken wollte – er streckte die Zungenspitze seitlich aus dem offenen Mund, grinste und kicherte immer wieder leise vor sich hin.
»Nick, ich hab gesagt, lass das. Im Ernst, das ist doch blöd. Ich hasse das, wenn du mich gewinnen lässt. Das beleidigt mich.«
Wieder kicherte er, dann gab es eine wilde Feuerattacke und das Spiel war vorbei – er hatte absichtlich verloren.
»Verdammt, Nick!«, schrie ich und knallte ihm den Joystick gegen den Arm, als meine Figur in Siegerpose auf dem Bildschirm auftauchte. »Ich hab gesagt, du sollst mich nicht gewinnen lassen. Herrgott noch mal!« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und blickte in die andere Richtung.
Jetzt lachte er laut und stieß mich in die Seite. »Wieso?«, sagte er. »Du hast einfach gewonnen und fertig.Außerdem bist du ein Mädchen. Da brauchst du schon Hilfe.«
»Das hast du jetzt nicht gesagt, oder? Ich zeig dir gleich, wer hier Hilfe braucht!«, knurrte ich, schmiss den Joystick weg und prügelte wie wild auf ihn ein, was ihn nur noch mehr zum Lachen brachte.
Mit geballten Fäusten boxte ich ihn gegen die Schultern und auf die Brust, aber jetzt eher im Spaß, denn er freute sich derart diebisch, dass ich mich nicht mehr richtig ärgern konnte. Nick war nicht oft so drauf wie jetzt, aber wenn er Lust zum Rumalbern hatte, war das total ansteckend. »Nein! Hilfe! Du bist so brutal«, jammerte er zwischen den Lachern mit einer künstlichen Quengelstimme. »Aua, du tust mir weh.«
Ich hängte mich noch mehr rein, grunzte und schubste ihn, bis wir beide auf dem Boden lagen. Wir kullerten herum und auf einmal lag er über mir und presste meine Handgelenke auf den Boden. Wir waren beide total außer Atem. Sein Gesicht kam ganz nah an meins heran. »Weißt du, manchmal ist es okay, wenn einer dich gewinnen lässt«, sagte er plötzlich ganz ernsthaft. »Wir müssen nicht immer Verlierer sein, Valerie. Klar, die andern wollen uns weismachen, wir wären es, aber das stimmt nicht. Auch wir können manchmal gewinnen.«
»Ich weiß«, sagte ich und fragte mich, ob er wohl begriff, was in mir vorging: Nie sonst fühlte ich mich so auf der Gewinnerseite wie jetzt in seinem Armen.
»Du kannst dich zu mir setzen«, riss mich eine Stimme aus meinem Tagtraum. Ich öffnete die Augen und stellte mich auf das ein, was einem Satz wie diesem normalerweise folgte:
Du kannst dich zu mir setzen … wenn der
Mississippi rückwärts fließt.
Oder:
Du kannst dich zu mir setzen … haha, das hast du doch nicht wirklich geglaubt, oder?
Was ich stattdessen sah, verschlug mir den Atem.
Jessica Campbell blickte von oben auf mich herunter, mit einem Gesichtsausdruck, der ihre Gefühle nicht erkennen ließ. Sie trug ihren Volleyballdress und hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Jessica war so was wie die Königin von Garvin High. Sie war beliebt wie niemand anderer, aber sie konnte auch sehr grausam sein. Jeder wollte sich gut mit ihr stellen und war zu allem bereit, um ihre Anerkennung zu kriegen. Zwar war es Christy Bruter gewesen, die mir den Spitznamen »Todesschwester« verpasst hatte, aber erst wenn Jessica mich mit kalter, verächtlicher Stimme so nannte, fühlte ich mich wirklich klein und dumm. Sie war es, die Jacob Kinney dazu gebracht hatte, Nick in den Gängen immer wieder ein Bein zu stellen, sie war es, die Mr
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