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Die Hassliste: Roman (German Edition)

Die Hassliste: Roman (German Edition)

Titel: Die Hassliste: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Brown
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des Satzes nicht aus, sondern tat so, als würden schon diese Worte allein genügen, um alles zu erklären. Doch ich wusste tatsächlich, was er meinte, auch ohne dass er weitersprach. Der Amoklauf hatte alles verändert. Für alle. Sogar für Briley, die mit unserer Schule überhaupt nichts zu tun hatte.
    »Ich konnte Jenny danach einfach nicht allein lassen. Sie hat so viel durchgemacht. Ich respektiere deine Mutterund möchte sie nicht verletzen. Aber ich liebe sie nicht. Nicht so wie Briley.«
    »Also machst du’s«, sagte ich. »Du gehst, meine ich.«
    Er nickte bedächtig.
    »Ja«, sagte er. »Es ist das einzig Richtige. Ich muss gehen.«
    Ich hätte mir gewünscht, vor Wut zu toben und mich wild zu wehren gegen all das.
Nein, musst du nicht
, wollte ich ihn anbrüllen.
Das kannst du nicht machen!
Aber ich brachte es nicht fertig. Denn in Wahrheit – und das wussten wir beide – war er schon vor langer, langer Zeit gegangen. Nur hatte ich ihn dazu gezwungen zu bleiben, obwohl er eigentlich viel lieber woanders gewesen wäre. Auf verdrehte Weise war auch er ein Opfer des Amoklaufs. Einer von denen, die nicht weggekommen waren.
    »Bist du wütend?«, fragte er, was ich total seltsam fand.
    »Ja«, sagte ich. Und ich war auch wütend. Ich war mir nur nicht so sicher, ob ich auf ihn wütend war. Aber ich glaube, diesen Teil brauchte er nicht zu hören. Ich glaube, diesen Teil hätte er auch gar nicht hören wollen. Ich glaube, es war ihm wichtig zu hören, dass mir genug an ihm lag, um wütend zu sein.
    »Wirst du mir jemals verzeihen?«, fragte er.
    »Wirst du mir jemals verzeihen?«, schoss ich zurück und lenkte meinen Blick direkt in seine Augen.
    Er starrte eine Weile lang zurück, dann erhob er sich leise und ging Richtung Tür. Er drehte sich nicht um, als er sie erreichte. Er packte nur den Türknauf und hielt ihn fest.
    »Nein«, sagte er, ohne mich anzusehen. »Vielleicht macht mich das zu einem schlechten Vater, aber ich weißnicht, ob ich das kann. Egal, zu welchem Ergebnis die Polizei gekommen ist, du hast eine Rolle gespielt bei dem Ganzen, Valerie. Du hast die Namen auf diese Liste gesetzt. Du hast
meinen
Namen auf die Liste gesetzt. Du hast hier ein gutes Leben gehabt. Du magst nicht selbst abgedrückt haben, aber du hast diese Tragödie mit ausgelöst.«
    Er öffnete die Tür. »Es tut mir leid. Wirklich.« Er trat in den Flur hinaus. »Ich gebe deiner Mutter meine neue Adresse und Telefonnummer«, sagte er, bevor er sich langsam aus meinem Blickfeld bewegte.

 
    Wie üblich beschloss ich, es wäre am besten, das Abendessen ausfallen zu lassen und mir später etwas zum Essen zu schnappen, nachdem alle schlafen gegangen waren. Ich wartete, bis ich an dem Spalt zwischen Tür und Fußboden sah, dass das Licht ausgegangen war, dann humpelte ich nach draußen.
    Ich tappte in die Küche und machte mir im Lichtschein des offenen Kühlschranks ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade. Dann schloss ich den Kühlschrank wieder, setzte mich an den Küchentisch und aß im Dunkeln, weil ich es so wollte. Es fühlte sich gut an, so schön abgeschieden. Als hätte ich ein kleines Geheimnis. Als könnte ich allein sein, ganz bei mir, weit weg von dem ganzen Unfug um mich herum. Denn das war es doch, oder? Unfug. Nachdem deine Klassenkameraden einfach weggepustet worden sind, wirkt so ziemlich alles andere in der Welt – sogar dein Vater, der die Familie sitzen lässt – einigermaßen nebensächlich.
    Ich aß mein Sandwich auf und war kurz davor, aufzustehenund nach oben zu gehen, als ich im Wohnzimmer ein Geräusch hörte. Es klang wie ein lang gezogenes, wässriges Schniefen und ein leises Husten. Ich erstarrte.
    Wieder hörte ich das Geräusch, diesmal gefolgt von etwas, das ganz klar so klang, als würde jemand ein Papiertuch aus einer Pappschachtel ziehen.
    Ich schlich um die Ecke und spähte in die Dunkelheit.
    »Hallo?«, sagte ich leise.
    »Geh schlafen, Valerie, ich bin’s bloß«, sagte Mom von der dunklen Couch her, die wie eine Festung wirkte. Ihre Stimme klang harsch und ihre Nase schien verstopft.
    Ich hielt inne. Sie schniefte wieder. Und ich hörte noch mal das Geräusch von einem Papiertuch, das aus einer Schachtel gezogen wurde. Statt mich auf den Weg die Treppen hoch zu machen, ging ich ein paar Schritte ins Wohnzimmer hinein und blieb hinter dem Fernsehsessel stehen.
    »Bist du okay?«, fragte ich.
    Sie gab keine Antwort. Ich umrundete den Fernsehsessel und wollte mich hineinsetzen,

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