Die Hassliste: Roman (German Edition)
trug, Turnschuhe. Dazu Jeans und ein Polohemd. Freizeitklamotten zwar, aber trotzdem Sachen zum Weggehen.
Er setzte sich auf den Rand von meinem Bett. Zuerst sagte er nichts, sondern starrte bloß meine Zehennägel an. Ich rollte die Zehen instinktiv ein, doch dann wurde mir klar, dass ich damit wahrscheinlich den frischen Lack ruinierte, also streckte ich sie gleich wieder. Nur einer warverschmiert. Mit dem Daumen wischte ich einen großen Teil des Lacks darauf weg und starrte dann meinen Fuß an, der auf einmal verletzlich und unvollkommen wirkte, mit diesem einen knallpink verschmierten Zeh, der in der Mitte des Nagels aber ganz weiß war. Als hätte ich den Anfang gemacht, schön zu sein, dann aber den Faden verloren.
»Neue Farbe?«, fragte er, was eine total schräge Frage war für Dad. War es vorgesehen, dass Väter den Nagellack ihrer Töchter registrierten? Keine Ahnung, jedenfalls würde mein Vater so was normalerweise nicht merken und allein schon dieser Gedanke war mir nicht geheuer.
»Nein. Eine ganz alte«, erwiderte ich.
»Oh.« Er saß weiter einfach nur da. »Hör mal, Valerie, wegen Briley …«
Briley, dachte ich. Klar. Sie heißt Briley.
»Dad«, setzte ich an, aber er hielt die Hand hoch und bedeutete mir, still zu sein. Ich schluckte. Ein Satz, der mit
Hör mal, Valerie, wegen Briley …
begann, war alles andere als der Einstieg in ein angenehmes Gespräch. Das war mir klar.
»Hör mir zu«, sagte er. »Deine Mutter …«
Er machte eine Pause. Ein paarmal öffnete er den Mund und schloss ihn dann wieder, als wüsste er nicht weiter. Er schob seine Hände im Schoß herum. Seine Schultern waren zusammengesackt.
»Dad, ich werd Mom nichts erzählen. Du musst das hier nicht tun«, begann ich, aber er unterbrach mich.
»Doch«, sagte er. »Das muss ich.«
Ich blieb still und meine Zehen wurden kalt. Ich behieltsie fest im Blick und stellte mir vor, das Knallpink würde sich wie bei einem Stimmungsring in Purpur oder Eisblau verwandeln. Und vielleicht gehörte das fiese Leichengelb eben doch nicht der Vergangenheit an. Ich fragte mich, wer wohl die eigentliche Betrügerin war, die alte Valerie oder die neue – ein Gedanke, der mir seit dem Amoklauf immer wieder gekommen war. Als könnte ich mich von einem Moment auf den nächsten in eine komplett neue Person verwandeln.
»Ich hab’s erzählt«, sagte er schließlich. »Ich hab ihr alles erzählt. Deiner Mutter.«
Ich sagte nichts. Ich hatte keine Ahnung, was für eine Antwort es auf diesen Satz geben könnte.
»Sie hat es nicht gut aufgenommen, natürlich nicht. Sie ist sehr wütend. Sie will, dass ich gehe.«
»Oha«, machte ich.
»Falls das wichtig ist für dich: Ich liebe Briley. Und zwar schon sehr lange. Wahrscheinlich werden wir heiraten.«
Es war wichtig für mich. Aber auf eine ganz andere Art, als er es sich erhoffte. Mit finsterem Behagen dachte ich daran, dass ich nun auch ein »Stiefmonster« bekommen würde – ein Ausdruck von Nick für die Männer seiner Mutter. Irgendwie passte das zu meinem Leben. Und es gab mir einen Stich, denn ein Stiefmonster zu haben wäre noch eine Gemeinsamkeit zwischen Nick und mir gewesen.
Eine Weile lang saßen wir schweigend da. Ich fragte mich, was Dad wohl denken mochte und warum er überhaupt hierblieb. Wartete er darauf, dass ich ihm Absolution erteilte? Wollte er mich sagen hören, es wäre inOrdnung so? Hoffte er auf einen großherzigen Satz von mir, mit dem ich Brileys Rolle in meinem Leben akzeptierte?
»Wie lange bist du denn schon mit … mhm …
ihr
… zusammen?«, fragte ich.
Er runzelte die Stirn und blickte mich direkt an. Ich glaube fast, es war das einzige Mal überhaupt, dass ich meinem Vater direkt in die Augen sah, und die Tiefe, die ich darin erblickte, überraschte mich. Anscheinend hatte ich Dad immer nur eindimensional gesehen: Kein Gedanke, der nicht mit seiner Arbeit zu tun hatte. Keine Gefühle außer Ungeduld und Wut.
»Das ist alles schon lange vor der Sache in der Schule passiert.« Er stieß einen halbherzigen Lacher aus. »In mancher Beziehung hat dieser Amoklauf deine Mutter und mich wieder ein Stück näher zusammengerückt. Er hat es schwer gemacht, sie zu verlassen. Ich habe Briley in den letzten Monaten Millionen Mal das Herz gebrochen. Ich hatte fest vor, im Sommer mit ihr zusammenzuziehen. Wir hatten gehofft, dass wir inzwischen schon verheiratet wären. Aber diese Amokgeschichte …«
Genau wie viele andere sprach er den Rest
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