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Die Haushälterin

Die Haushälterin

Titel: Die Haushälterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Petersen
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etwas Schaum vom Hals der Flasche und trank dann einen Schluck Bier.
    »Ihr habt sogar die gleiche Frisur.«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. Das hatte noch niemand behauptet. Andererseits wirkte mein Vater auf diesem Photo wie ein Mann, in den man sich verlieben konnte, als Frau.
    »Das war bei der letzten Weihnachtsfeier. Der andere ist sein Chef.«
    Sie nickte und lehnte das Photo gegen den Rilke-Band, so daß wir beide es sehen konnten.
    »Das heißt, er war sein Chef.«
    Das Bier schmeckte bitter, aber ich wußte, daß sich das änderte, je mehr man davon trank.
    »Hat er die Firma gewechselt?«
    »Sie haben ihn vor drei Wochen entlassen.«
    Ada sah zu Boden. Wir schwiegen, ich konnte sie atmen hören. Draußen begann es zu dämmern. Auf der Terrasse stritten zwei Spatzen um ein trockenes Brötchen, das ich beim Staubsaugen unter dem Sofa gefunden und rausgeworfen hatte, Futter, das ihnen vielleicht für eine ganze Woche reichte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Adas Brust sich hob und senkte.
    Ich stellte meine Flasche hin. Dann erzählte ich ihr alles, die Sache mit Japan und weshalb er in die Klinik gekommen war. Ich wußte nicht, warum ich das tat, schließlich war sie nur wegen der Anzeige da.
    »Was ist mit deiner Mutter?«
    »Verreist«, sagte ich. »Sie hat's nicht mehr ausgehalten.«
    »Kann ich eine rauchen?«
    »Klar. Mein Vater raucht auch manchmal.«
    Sie zog aus ihrer Rocktasche ein silbernes Etui hervor, klappte es auf und hielt es mir hin. Ich nahm eine Zigarette heraus, eine dünne Selbstgedrehte, und steckte sie mir in den Mund. Sie steckte sich auch eine in den Mund, zündete ein Streichholz an und gab mir Feuer, wobei sie mich ansah. Es war nicht dieser Blick, mit dem Erwachsene Kinder ansahen. Es war der Blick, mit dem ein Erwachsener einen Erwachsenen ansah; zumindest glaubte ich das.
    »Kommst du aus Frankreich?«
    »Aus Lublin.«
    »Tschechische Republik«, sagte ich und lehnte mich zurück, wie ich es im Unterricht tat, wenn die Chancen fünfzigfünfzig standen und meine Antwort möglichst überzeugend wirken sollte.
    »Polen.« Sie hielt ihr Bier hoch.
    »Polen«, sagte ich.
    Wir stießen an. Sie trank, dann streifte sie ihre Sandalen ab, streckte die Beine, löste die Haarklammer, legte sie in ihren Schoß und strich sich eine Strähne hinters Ohr. Meine Flasche war beinahe leer. Ich stellte sie zurück auf den Tisch, wo schon ein feuchter Abdruck war. Ich hatte vergessen, die Untersetzer aus der Kommode zu holen.
    »Was ist«, sagte sie. »Du mußt noch ein paar Fragen stellen. Um zu sehen, ob ich für euch die Richtige bin, sozusagen.«
    »Magst du Musik.«
    »Ich liebe Musik.«
    »Mein Vater auch. Kannst du Muscheln kochen?«
    »Wir Polen sind bekannt für unsere Muschelkochkünste.« Sie lachte. Ich lachte auch, obwohl ich mir ziemlich dumm vorkam, weil ich über Polen nichts wußte außer ein paar Dingen, die ich in der Schule gelernt hatte.
    Sie ging zum Fenster und schnippte die Asche ihrer Zigarette hinaus. Dann setzte sie sich aufs Sims, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blies ein Gebilde aus Rauch ins Zimmer.
    »Eure alten Möbel. Die gefallen mir nicht.«
    »Mir auch nicht«, sagte ich.
    Ich hätte gern das Radio aus der Küche geholt und ein bißchen getanzt.
    Draußen war es dunkel geworden. Ich schaltete die Stehlampe ein, von der mein Vater behauptete, daß ihr Licht dem Wohnzimmer »Wärme und Grandezza« verlieh. Manche Ansichten der Erwachsenen kamen mir seltsam vor, aber ich ahnte, daß zum Erwachsensein eine Art Treppe führte und daß man, solange man sich auf einer der unteren Stufen befand, bestimmte Ansichten und Gefühle nicht verstehen konnte, während die Erwachsenen wahrscheinlich alles verstanden, aber schon viel erlebt hatten und deshalb ein bißchen gelassener waren. Mein Vater würde nicken und etwas sagen wie: »Freut mich. Fangen Sie mit den Gardinen an.« Für mich war Ada wie ein Geschenk, das einen auf die Frage brachte, warum man es sich nicht schon seit langer Zeit gewünscht hatte.
    8
    Am nächsten Tag trug sie Schmuck - drei Silberringe in der linken Ohrmuschel, rechts zwei Stecker mit grünen Steinen und um den Hals eine Kette mit einem Herz, einem Kreuz und dem gelben Eckzahn eines großen Raubtiers. Ich trug gestreifte Socken, den besten Pullover meines Vaters (einen blauen »Paul & Shark« von May und Edlich am Jungfernstieg), seine Lackschuhe, die seit dem Gastspiel des Bolschoi-Balletts einige Wochen vor dem Tod meiner Mutter

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