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Die Haushälterin

Die Haushälterin

Titel: Die Haushälterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Petersen
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sagte eine Frau. »All die Sterne. Viel heller als sonst.«
    »Das kommt, weil es hier draußen besonders dunkel ist. Keine Straßenlaternen. Keine beleuchteten Häuser.«
    »Ah«, sagte die Frau.
    Es war die Schuhverkäuferin. Ich hob den Kopf ein Stück und sah sie mit dem Kassenwart der SPD am Ende des Steges stehen. Er hatte seinen breiten Arm um ihre Taille gelegt. Sie blickten nach oben. Der Kassenwart zeigte mit seinem Finger in den Himmel und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie lachte, er lachte auch. Ich fragte mich, was mein Vater täte, ob er einfach den Kopf schütteln oder sich den Kerl schnappen und ihm eine verpassen würde.
    »Guck mal«, sagte sie. »Eine Ente.«
    »Ja«, sagte er und zuckte die Schultern. »Bißchen mager für den Kochtopf.«
    Seine Hand wanderte abwärts und blieb auf ihrem Hintern liegen. Dann küßte er sie; er beugte sich über seinen Bauch und rieb seinen Vollbart in ihrem Gesicht. Beinahe tat sie mir leid. Sie stand auf Zehenspitzen, umklammerte ihn und stöhnte leise, als wollte sie ihn zusammenhalten wie einen riesigen Sack, der aus allen Nähten platzte.
    Als ich im Bett lag, dachte ich nach, bis draußen die Drosseln schrien und der erste Frühschichtler die Tür seines Wagens zuschlug. Ich schwor mir, meinem Vater von der Sache nichts zu erzählen. Sie hatte uns verraten. Ich wußte nicht einmal, ob es meinem Vater etwas ausgemacht hätte. Ich selbst kam mir vor wie der Betrogene. Sie war mir auf die Nerven gegangen, ich hatte sie abstoßend gefunden, und trotzdem konnte sie mich enttäuschen wie einen Liebhaber.
    7
    Ich stellte mir ihre Gesichter und ihre Kleider vor, stellte mir vor, wie sie mit uns Tee aus der Thermo skanne tranken und meinen Vater zum Reden brachten. Neben einer von ihnen würde er beim Fernsehen sitzen. Sie würden zusammen einkaufen gehen, ins Kino, vielleicht ins Theater. Ich schrieb auf einen Zettel, wie diese Frau sein mußte: Mitte Vierzig bis Fünfzig, ein bißchen älter als er, damit sie sich wehren konnte wie eine große Schwester, Nichtraucherin, manchmal ein Bier. Sie durfte keine Ähnlichkeit mit meiner Mutter haben. Ich rückte den Ohrensessel zum Tisch und stellte die Stehlampe daneben. Auf den Tisch legte ich das Photo vom letzten Weihnachtsfest der HEW, auf dem mein Vater in seinem Smoking einen Toast ausbringt, einen Band mit Rilke-Gedichten und einen Jugendstilhandspiegel, von dem er behauptet hatte, nur Leute mit Geschmack wüßten seinen Wert zu schätzen.
    Die erste klingelte am Mittag. Sie hatte violettes Haar, trug einen Fuchspelz und fragte, um wieviel Uhr meine Eltern von der Arbeit nach Hause kämen. Sie ließ ihren Tee kalt werden. Ich stand auf und ging in die Küche, um Schokoladenkekse zu holen. Als ich durch den Türspalt zurück ins Wohnzimmer sah, griff sie nach dem Jugendstilspiegel und prüfte ihr Dekollete.
    Dann kam eine Frau mit traurigen Augen und einem Bobtail, der an Rheuma und Magenkrebs litt und die Kekse aus ihrer Hand fraß. Sie sah aus dem Fenster und sagte: »So ein schöner Rasen!«
    Die nächste nahm den Rilke-Band, las zwei Gedichte vor, seufzte und hielt sich die Brust. Mittendrin klopfte eine ans Fenster, die vor den Serben geflüchtet war und nicht aufhören konnte zu lachen. Zwei weitere warteten schon im Garten, schnatterten, drückten ihre Zigaretten am Stamm der Eiche aus und schnippten die Filter ins Rosenbeet. Schließlich kam eine, die glitzernde Ohrringe und eine breite Goldkette trug. Sie wollte sofort die Waschküche sehen. Als sie das Haus verlassen hatte, war auch der Jugendstilspiegel verschwunden; ich stürzte nach draußen, aber sie bog schon auf ihrem Rad um die nächste Ecke.
    Viele Blicke streiften die Photographie meines Vaters. Ich sah den Frauen an, daß sie sich überwanden, keine Fragen zu stellen. In seinem Smoking sah mein Vater »anziehend« aus und »charmant«. Am Revers glänzten die roten Hosenträger, die meine Mutter ihm auf den Champs-Elysées gekauft hatte. Da Doktor Steinberg neben ihm stand, kam seine Körpergröße zur Geltung; Doktor Steinberg trug einen grauen Anzug mit Weste und Schlips. Es wirkte, als wäre mein Vater der wahre Abteilungsleiter gewesen.
    Am Abend öffnete ich die Fenster, saugte Kekskrümel vom Teppich, setzte Teewasser auf und überflog die zerknitterte Liste mit Namen und Telefonnummern, als es klingelte. Ich dachte, eine von ihnen hätte etwas vergessen. Durch den Spion war nichts zu erkennen. Ich klinkte die Sicherungskette ein und

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