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Die Haushälterin

Die Haushälterin

Titel: Die Haushälterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Petersen
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Großbuchstaben:
    KOCHAM CIE, ADA Zwischen den Seiten steckten drei Hundertmarkscheine. Jurek würde verstehen, was in dem Brief stand. Er würde das Geld zur Seite legen, sich vielleicht die Hände waschen, frischen Kaffee kochen, das Papier glattstreichen und lesen, was Ada geschrieben hatte. Er würde an eine Ada denken, die mir unbekannt war, die ihn vielleicht in die Straßencafes der Lubliner Altstadt begleitet hatte. Seine Cousine. Seine Nichte. Eine gute Bekannte.
    Ich ließ mir von der Auskunft die Nummer der polnischen Botschaft geben.
    »Ambasada polska«, sagte ein Mann am anderen Ende der Leitung.
    Ich erklärte ihm, daß ich an einem Schulaufsatz über polnische Lyrik schrieb und Hilfe beim Übersetzen brauchte; ich sei da auf zwei Wörter gestoßen. Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte. »Ich helfe dir«, sagte er, »kein Problem. Du sprichst schon ein bißchen polnisch?«
    »Nicht viel«, sagte ich, »wahrscheinlich mache ich bald einen Sprachkurs in Lublin.«
    »Dann wird es Zeit«, sagte er. »Weißt du, >kocham cie<, das heißt >Ich liebe dich<.«
    Ich schluckte den Rotz und die Tränen runter, holte mein Fahrrad aus der Garage, schob es den Pfingstberg rauf und zielte mit Kieseln auf Katzen, die im Schatten der Hecke lagen. Jurek Kieslowsky! Ich trat einen rostigen Mülleimer um und kauerte mich an die Mauer vor diesem Haus mit dem Wintergarten.
    Sie hätten mich bemerken können. Sie fuhren vorbei, schneller, als die Verkehrsschilder vorschrieben, eine junge Frau und ein Mann in einem BMW. Ich sah, wie mein Vater redete, wie er gestikulierte. Eigentlich hatte Ada frei; sie würde ihm ins Haus helfen, sich von ihm verabschieden, ihren Rucksack nehmen und mit dem Bus zum Bahnhof fahren. Vielleicht würde sie ihn fragen, wo der nächste Briefkasten war. Ich setzte mich aufs Rad -zehn Minuten, höchstens zwölf, wenn man die Abkürzung über die Brücke bei den Minigolfplätzen nahm.
    Wer sich umsah, fand sofort, wonach er suchte - das Blumengeschäft, den Kiosk, die Fahrkartenautomaten. Die Männer mit ihren Hunden und den zerknitterten Bierdosen. Einen Reisenden, der ankam. Oder jemanden wie mich, der einfach dastand, die Hände in den Taschen. Ich zog mich in die Ecke hinter den Schließfächern zurück.
    Sie kam erst nach einer Stunde. Es hatte zu regnen begonnen, nasse Spuren zogen sich über den grauen Boden der Halle und die Treppen hinauf zu den Gleisen. Sie drehte sich nach der Uhr bei den Telefonzellen um. Ich folgte ihr - sie trug ein durchnäßtes, trägerloses Top, ihr Rucksack war gesprenkelt mit dunklen Wasserflecken. Ich hätte nach ihr greifen können, nach ihren nackten Schultern, auf denen Regentropfen im Schein der Neonröhren glänzten. Ein Aktenkoffer schlug gegen mein Knie, eine Frau mit Kind schrie hinter mir her, aber Ada drängte weiter, sie bahnte sich den Weg zu Gleis vier und lief an der S-Bahn entlang, bis aus dem Lautsprecher das metallische »Zurückbleiben bitte« kam. Ich zögerte einen Moment, blieb hinter einer Säule stehen, sprang durch die Türen, als sie schon zischten und aufeinander zuglitten.
    Sie lehnte ihren Kopf an die Scheibe. Ich duckte mich auf der bekritzelten Bank am anderen Ende des Wagens, hoffte, sie würde spüren, daß ich in der Nähe war, und mir ein Zeichen geben, aber sie blieb abgewandt, dachte vielleicht an Jurek oder an ein polnisches Wort, das im Deutschen abscheulich klang. Ich gab mir drei Minuten, ein oder zwei Stationen, dann würde ich sie ansprechen.
    Viele Männer sprachen fremde Frauen auf der Straße, in Bussen oder in Zügen an, solche Geschichten hörte man ständig. Dabei war mir Ada vertraut - ein Mädchen, das für etwas Geld auf allen vieren Fußböden schrubbte, das man zur Zeit des Römischen Reiches als »Sklavin« bezeichnet hätte, Sklavin eines Mannes, dessen Sohn ich war. Ich starrte auf ihren Hinterkopf, bis ich spürte, daß es Zeit war, endlich aufzustehen, aber die S-Bahn hielt in Tiefstack und schließlich am Berliner Tor, und ich saß immer noch da.
    Am Hauptbahnhof sprangen zwei Kerle in den Waggon, ein großer mit Cowboystiefeln und ein dumpf blickender kleiner mit Pomade im Haar. Sie standen im Gang, redeten laut und warfen Ada Blicke zu. Plötzlich sagte der kleine »Fotze«. Er sagte es laut und deutlich, und ich vergrub das Gesicht in den Händen und vergaß zu atmen.
    An der Sternschanze stieg sie aus. Sie ging den Bahnsteig entlang zur Rolltreppe, fuhr hinab in den Fußgängertunnel, und

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